17/06/2024
Denkwürdige Szenen spielen sich ab vor dem Landgericht Karlsruhe: Der Staatsanwalt steht hinter seinem Stuhl und hält sich mit beiden Händen an der Lehne fest, während er sein Plädoyer vorträgt. Mit zitternder Stimme erklärt Manuel Graulich, die linksextremistische Agitationsplattform "linksunten.indymedia" habe "eine Struktur geschaffen, die es ermöglicht hat, beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg halbe Stadtteile in Schutt und Asche zu legen". Wer hinter dem Betrieb dieser seit sieben Jahren verbotenen Plattform steckt, konnte zwar nie vor Gericht bewiesen werden. Graulich aber ist sich sicher, dass es die Freiburger Antifa gewesen sein muss, als deren "Haus- und Hofberichterstatter" der linksalternative Sender "Radio Dreyeckland" (RDL) auftrete. Dem dort angestellten Redakteur Fabian Kienert wirft die Staatsanwaltschaft vor, durch die Verlinkung der Archivseite von "linksunten.indymedia" in einem seiner Artikel die weitere Betätigung einer verbotenen Vereinigung unterstützt zu haben.
Auf dieser Archivseite, führt Graulich aus, gebe es Anleitungen, wie Schienenverkehr sabotiert oder Molotow-Cocktails gebaut werden können. "Man stelle sich vor, es gäbe das Archiv als physischen Ort und der Angeklagte stellt sich vor die Tür mit einem großen Schild 'Hier geht es zum Archiv!' – dann wäre das auch strafbar." Nach Auffassung des Staatsanwalts habe Kienert mit seiner Verlinkung nicht nur für eine kriminelle Bande geworben, er habe überdies Straftaten gebilligt, indirekt dazu aufgefordert, welche zu begehen, und die Gefährdung von Menschen, "insbesondere Polizisten", in Kauf genommen. Deswegen hält er eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen für angemessen.
Nun hatte Fabian Kienert kein Schild in der Hand, er verfasste in einem journalistischen Beitrag den sachlichen und faktisch zutreffenden Satz: "Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite." Bis heute kann der Redakteur nicht fassen, dass er deswegen vor Gericht gezerrt wurde. Auch den Vorsitzenden Richter Axel Heim konnte die assoziative Argumentationskette der Staatsanwaltschaft letztlich nicht überzeugen: Er machte klar, dass er das Verhalten des Angeklagten unter keinem Gesichtspunkt für strafwürdig hält. Da Kienerts inkriminierter Artikel nirgendwo explizit für eine verbotene Vereinigung wirbt oder erkennbar zur Unterstützung aufruft, meinte der Richter in der Urteilsbegründung zum Freispruch sogar, wenn es dem Angeklagten wirklich darauf angekommen wäre, "hätte er sich bei der Fürsprache mehr Mühe geben können".
Bezüglich der Verlinkung von "linksunten.indymedia" wurde Fabian Kienert von Radio Dreyeckland freigesprochen. Der Staatsanwalt legte Berufung ein.