07/06/2024
„Es ist tröstlich, aber auch verrückt, dass alle unsere großen heutigen Themen bereits vor hundert Jahren in Gedichten formuliert wurden.“ / Axel Holst im Interview
Der Bühnen- und Fernsehschauspieler Axel Holst, Jahrgang 1967, ist in Mecklenburg-Vorpommern geboren und hat in Leipzig seine Jugend verbracht. Nun kommt er in die Messestadt zurück: „Axel Holst und U.T.A. – Songs und Gedichte“ heißt die Veranstaltung am 22. Juni im Horns Erben. Wir verlosen 1x2 Tickets, Kennwort: Holst. Der Abend, so notierte es der WDR, „entführt in das Universum, in dem alles, wirklich alles gedacht und gesagt und gefühlt wird, nur nicht Langeweile.“ Grund genug, bei Holst nachzufragen:
Der Ankündigungstext liest sich wie ein ganz grundsätzliches Plädoyer für Lyrik, die in der heutigen Zeit (Streamingdienste, verkürzte Aufmerksamkeitsspannen) offenbar an Bedeutung verloren hat. Ist das Ihre generelle Haltung, schwingen Sie sich mit einer Portion Überzeugungslust in den Abend? Oder präziser: Welche Welten werden Ihnen durch Lyrik erschlossen?
Ich liebe Gedichte. Aufklärerische oder messianische Absichten liegen mir fern. Ich halte mich weder für klüger noch für informierter. Ich möchte nur, dass die Menschen mit mir zusammen eine gewisse Zeit mit Gedichten verbringen. Ich bin kein Rezitierer, das mag ich nicht.
Sondern?
Ich erlebe die Gedichte beim Lesen, natürlich dabei ihren Strukturen folgend. Und wenn die Zuschauer mit mir auf diese Reise gehen, macht mich das glücklich. Vielleicht zusammen überrascht sein. Oder gerührt. Oder amüsiert. Das wäre schön. Ich behaupte, dass es kein Thema gibt - und sei es noch so speziell - über das nicht schon ein Gedicht geschrieben wurde. Das ist das Einzigartige: diese Vielfalt, gereimt oder frei, rhythmisiert, prägnant, weit ausholend, umständlich oder direkt, zart, brutal, traurig, lustig, provokant, weise oder albern. Aber natürlich auch dieses Instrument, also die Sprache, mit der von so herrlich unterschiedlichen Menschen geschaffen so unterschiedliche Töne gespielt werden können. Und die schönen Songs der Musikerin „U.T.A.“ gibt es dazu! Die Leute sollen einfach eine gute Zeit haben. Es ist tröstlich, aber auch verrückt, dass alle unsere großen heutigen Themen bereits vor hundert Jahren in Gedichten formuliert wurden. Da gibt es beispielsweise ein Gedicht von Brecht: „700 Intellektuelle beten einen Öltank an“. Das ist, als wäre es ein Kommentar aufs Hier und Heute.
Im Ankündigungstext gibt es auch eine Anspielung auf den Deutschunterricht: Haben Sie eine Idee, wie die Faszination für Lyrik im Unterricht vermittelt werden könnte?
Ehrlich gesagt, bin ich ein Pessimist, was unsere Schulen betrifft. Und ich bin mir nicht sicher, ob etwas, das mit Gefühl, Lust und Erleben zu tun hat, überhaupt verordnet werden kann. Und natürlich sind diese Vorgaben und Schemata zur Interpretation eines Gedichts totaler Humbug: Beamtensprech und Anwendungsschablonen, um Begeisterung für Kunst zu wecken. Was soll das für einen Sinn machen?
Aber ein guter Deutschlehrer …
… würde vielleicht auf die ungeheure inhaltliche und formale Spannbreite von Lyrik hinweisen, über Rap sprechen und den Spaß am Reimen vermitteln, indem man es gemeinsam tut. Vielleicht auch ein bisschen Ringelnatz oder Robert Gernhardt? Oder ein Lautgedicht von Ernst Jandl? Man muss die Neugier wecken. Um mehr geht es bei diesen Dingen gar nicht. Den Rest machen dann die Kids.
Wo wohnen Sie gerade?
Ich wohne im Neandertal bei Düsseldorf. Dort wurde unsere Seitenlinie das erste Mal gefunden, der Neandertaler, deshalb heißt er so. Neander war ein rheinischer Dichter, der die Gegend da besungen hatte.
Was sehen Sie, wenn Sie heute durch Leipzig schlendern?
Wenn ich heute durch Leipzig schlendere, sehe ich offene Gesichter, viele junge Leute, Familien, Menschen, denen der Zustand ihrer Stadt wichtig zu sein scheint. Denn so sieht sie aus - wie eine Stadt, die gemocht wird. Eine Menge Fahrräder gibt es und wenn es warm wird, bekommt alles irgendwie ein südlicheres Flair. Nicht so gehetzt. Die Stadt hat sich, im Gegensatz zu manch anderer, entschieden zu Ihrem Vorteil entwickelt.
Eine (knackig platte) Frage zum geeinten Deutschland, zu Ihrem Werdegang, zu Ihren Erfahrungen im Schauspiel-Business: Fühlen Sie sich als Ossi? Warum, warum nicht?
In den 90ern wollte ich kein Ossi mehr sein, wurde aber durch meine westdeutschen Kollegen ununterbrochen daran erinnert, natürlich auch durch diverse Anforderungen, die ich nicht beherrschte.
Beispiele?
Mit Geld gut umgehen können oder sich selbst einen Wert in Arbeitsverhandlungen zu geben. Heute, älter, habe ich eher das Gefühl, im Vorteil zu sein, da ich wirklich erlebt habe, was es bedeutet, nicht in Freiheit zu leben. Das ist nicht zu unterschätzen. Meinungs- und Bewegungsfreiheit. Die Freiheit zum Beispiel, ein ganz bestimmtes Gedicht aussuchen und vortragen zu wollen und auch zu können. Ansonsten: Ossi, Wessi? Es ist egal! Aufs Individuum kommt´s an! Ich bin ja auch eingeheirateter Rheinländer.
Noch mal knackig: Haben Sie Angst vor der Rente?
Überhaupt nicht. Überhaupt nicht! Überhaupt nicht!
Was ist Glück?
Fühlen und denken können. Gar nichts tun und das genießen können. Etwas freiwillig von sich weggeben. Sich mit etwas verausgaben, weil man das will.
Axel Holst und U.T.A. – Songs und Gedichte, 22. Juni, Horns Erben, 20 Uhr, www.horns-erben.de Horns Erben - Kultur / Lokal facebook.com/axi193
Text: Mathias Schulze Bild: Phillip Lethen
BU: Axel Holst kommt mit einem Lyrik-Abend nach Leipzig.