20/08/2021
Man darf richterliche Urteile nicht vorher beschreien. Um vorauszusehen, dass das Land Berlin am Freitag im Berufungsprozess vor dem Landesarbeitsgericht gegen Gregor Seyffert scheitern würde, bedurfte es keiner prophetischen Gabe. Seit Februar 2020 versucht die Bildungsverwaltung den künstlerischen Leiter der Staatlichen Ballettschule und Schule für Artistik loszuwerden, nach 17 Jahren erfolgreicher Arbeit.
Gegen Seyffert und den Schulleiter Ralf Stabel, beide im Rang von Professoren an der Schule, sprach das Land insgesamt vier fristlose Kündigungen aus. Es verlor jede einzelne, versuchte es aber stets in zweiter Instanz. Für dieses stete Scheitern vor Gericht tragen allein die SPD-Bildungssenatorin Sandra Scheeres und die mit dem Fall betraute Staatssekretärin Beate Stoffers die Verantwortung. Die Vernunft hatte keine Chance.
Die Berufungsklage des Landes wurde aus formalen Gründen zurückgewiesen, weil Fristen nicht eingehalten wurden. Jetzt ging es dem Land darum, Seyffert auch nicht mehr als künstlerischen Leiter der Ballettschule zu beschäftigen, wie in erster Instanz gefordert. In diesem Punkt folgte Richterin Claudia Nowak dem Ansinnen des Landes, konstatierte ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis und schlug einen Vergleich vor. Die Parteien sollen sich einigen, am 17. September ergeht das Urteil.
Der Vorwurf der Bildungsverwaltung lautet, Seyffert habe einer Studentin nachgestellt. Tatsächlich probten Leiter und Studentin für eine Aufführung Ende Dezember 2012 in dem Wissen, dass die 19-Jährige schon im Januar 2013 die Schule verlässt. Offensichtlich haben sie sich dabei verliebt.
Sandra Scheeres riskierte es, Lebensläufe zu ruinieren
Unstrittig indes ist, dass die Liebesbeziehung zwischen beiden erst 2013 begann und drei Jahre hielt. Absurd bleibt daher das Ansinnen, Seyfferts sicher unangemessenes Verhalten neun Jahre später mit einer fristlosen Kündigung zu ahnden. Konkret geben die Vertreter des Landes in der Klageschrift dazu ungeniert Aussagen der Freundin mit peinlichen Einzelheiten und falschen Daten wieder.Sie zitieren aus privaten Chatverläufen. Der Senatsmitarbeiter versteigt sich noch zu anderen Unflätigkeiten. Schon in der ersten Instanz bezeichnete er Gregor Seyffert als „geilen Stelzbock“, der 17-jährigen Mädchen nachstellt. Dafür gibt es keinen Anhaltspunkt. Auch jetzt spricht er wiederholt von „Minderjährigen“ und „17-Jährigen“, behauptete schließlich, Seyffert sei ein Lehrer, „der korrupt für Schulabgangszeugnisse sorgt“!
Seyfferts Anwalt, der Arbeitsrechtsexperte Jens Brückner, ein stets extrem besonnener 75-Jähriger, platzte erstmals der Kragen. Er verlangte, die Beleidigung zu protokollieren und will seinem Mandanten raten, dagegen mit einer Strafanzeige vorzugehen. Das Verhalten ist typisch für die Bildungsverwaltung. Sie hat keinen Aufwand gescheut, ihren langjährigen Leiter mit internationaler Tänzer-Karriere ins gesellschaftliche Aus zu katapultieren, den Ruf dieses Künstlers zu ruinieren, für den es eigentlich die Fürsorgepflicht hat.
Die Kündigungsorgien, die das Land gegen das Spitzenpersonal der Ballettschule veranstaltet hat, sind erst mal verloren. Das Land trägt die Kosten, zahlt die verweigerten Gehälter und Sozialabgaben nach, dazu die Gehälter für den Interimsschulleiter. Den Rechnungshof könnten auch Ausgaben für die sogenannte Expertenkommission, die Clearingstelle und Wirtschaftsprüfer interessieren, dem Vernehmen nach mehrere Hunderttausend Euro. Den Skandal lieferte in diesem Fall nicht das Personal der Schule, sondern die Politik.
Birgit Walter, Berliner Zeitung, 20.8.2021