05/12/2023
Platte des Monats
CAMILLA SPARKSSS
Lullabies
(On the Camper Records)
Aus rein marketingtechnischen Aspekten muss man Barbara Lehnhoff wohl einen anderen Künstlernamen empfehlen, zumindest einen mit weniger "s"-Wiederholungen am Ende. Zu hoch ist die Fehlerquote, auch wir hatten hier vor beinahe 10 Jahren bei der kurzen Besprechung ihres Debutalbums "For You The Wild" mindestens zwei "s" verloren. Außerdem sprachen wir seinerzeit von einem "kanadischen Duo", dabei ist Camilla Sparkasss eher ein Soloprojekt und die familiären Wurzeln der Dame liegen nicht nur in Kanada, sondern zu guten Teilen auch in der Schweiz. Egal, heute soll es um die dritte (mir bekannte) C.S.-Platte gehen und die ist in mehrfacher Hinsicht etwas ganz Besonderes. Nicht nur, dass hier auf sehr gekonnte Weise elektronische SphärenSounds zu ebenso soliden wie filigranen KlangWänden geformt werden, die dann ganz wunderbar mit Camilla Sparksss dunkel hauchender Sing-/SprechStimme harmonieren und auch dem behutsam, aber prägnant eingesetzten akustischen BlasinstrumentenPark (dass ihr hier falsch liege, habe ich erst im Interview mit C.S. erfahren und kann es noch immer kaum glauben – tatsächlich entstammen die Klänge einer digitalen Mellotron-Nachbildung) ein kuscheliges Nest bereiten. Nein, auf dem wertigen DreifachKlappCover, bei dem Musiker- und Album-Name auf edel-mattem Schwarz in wie Holz- oder Linolschnitte wirkenden Lettern gesetzt prangen, wird das KunstWerk (und ein solches ist "Lullabies" ganz ohne Zweifel) ausdrücklich als "An audio-visual album" bezeichnet, weil diese auf 45 Umdrehungen abzuspielende Doppel-LP (warum man das Album unbedingt auf Vinyl besitzen sollte, erfahrt ihr gleich noch!) nämlich zugleich ein Praxinoskop ist. Eine "Wundertrommel", wie sie mir als Kind meine Oma anhand eines arg ramponierten, aber trotzdem faszinierenden Relikts aus wiederum ihrer Kindheit vorgeführt hatte. Bei "Lullabies" wird dazu eine solide, hochglanzpolierte Metallscheibe mitgeliefert, aus der man einen 12seitigen Pyramidenstumpf basteln kann, welcher – auf dem Plattenteller zentrisch platziert – die Zeichnungen auf dem Vinyl in bewegte Bilder verwandelt (auf ihrer website präsentiert die Künstlerin ein kurzes Video, das das Ganze vielleicht noch etwas verständlicher macht). Und auch wenn die sehr beachtenswerten Texte in den insgesamt 8 Stücken ohnehin schon gut verständlich dargebotenen werden, ist das große Beiheft mit den kunstvoll in feinem Schwarz-Weiß gestalteten Seiten eine hochwillkommene Gelegenheit, selbige nochmal nachzulesen. "Temper Temper Mother Nature" z.B., in dem Mutter Natur nachdrücklich Auskunft einfordert: "What are you doing here? - You’ve stomped on the forests / You’ve conquered the sea / You’ve recreated Biology". Dazu erblüht und verwelkt im sich drehenden Wunderspiegel eine Blume, ein nacktes Mädchen hüpft, ein Vogel schwingt darüber seine Flügel. Das ist wirklich Kunst. Kunst, die im besten Sinne auch reiner SelbstZweck ist und jegliche kommerziellen Zwänge mit großer Selbstverständlichkeit ignoriert (denn "aufwendig" ist ein viel zu schwaches Wort für dieses Musik-Buch-"Kino"-Objekt). "A collection of bedtime stories for adults", an der man weitaus länger als die halbe Stunde reiner Musiklaufzeit seine Freude hat.
Karsten Zimalla