18/10/2024
Hier ein kurzer Auszug aus dem Buch:
1.2 Die zwei Wirkachsen
In der Chinesischen Medizin der Klassik trägt der Mensch in sich verschiedene Aspekte des Seins, die sich hauptsächlich auf zwei Ebenen, zwei Achsen zeigen und wirken und entsprechend darstellen lassen.
Es gibt in uns, tief verankert im Inneren, die Achse von Raum- und
Zeitlosigkeit. Verknüpft mit den Organsystemen Herz und Niere, findet sich dort unser wahres Wesen, abgekoppelt von Raum und Zeit, abgekoppelt von allem Denk- und Greifbaren.
Daher kennen wir den Satz „Wir prüfen Menschen auf Herz und
Niere“, um herauszubekommen, wer diese Menschen wirklich tief im Inneren sind. Das ist kein Zufall. Wir prüfen nicht auf Magen und
Darm oder auf Leber und Lunge, nein, auf Herz und Niere.
Genau dort, nicht zu verorten, nicht zu fassen und zu greifen, befindet sich so etwas wie unser wahres Selbst, fernab vom Körper, fernab vom Messbaren.
Die Organsysteme Herz und Niere gehören zu den Wand-
lungsphasen Feuer und Wasser.
Obwohl wir beispielsweise sagen, dass sich die beiden wie Feuer und Wasser verhalten und damit meinen, dass sie sich gar nicht gut vertragen, meint die KCM etwas völlig anderes. Feuer und Wasser sind nicht etwa Feinde. Feuer und Wasser sind Gegenspieler, die sich gegenseitig ergänzen und jeweils in die Schranken weisen. Beide begrenzen sich und sind somit sehr wohl ein Paar, das sich letztlich sehr gut und passend fordert und fördert.
Ähnlich wie alle Gegensätze des Lebens, sind sie zwar entgegenge-
setzt, aber stets eine Einheit. Tag und Nacht, Mann und Frau, kalt und heiß – alle sind Paare, die zum Wohle der Gegenseite agieren und sich im positivsten Sinne begrenzen und fördern, ja hervorbringen.
Feuer und Wasser, Herz und Niere bringen die kosmische, bedingungslose Liebe und die kosmische, urteilsfreie Weisheit hervor.
In ihnen wirken die Seelenwesen Shen und Zhi, über die wir noch sehr ausführlich sprechen werden.
Hier sei nur erwähnt, dass dies die tiefsten Schichten des Menschseins sind, unendlich tief verwoben mit dem Universum. Kein Verstandkann sie je verstehen.
Das geht nur über mystische Ansätze, wie wir
sie nur über die tiefe Meditationspraxis erfahren können.
All das, was uns wirklich wahrhaftig ausmacht, liegt immer jenseits
des Verstandes, auch wenn das dem modernen Menschen nicht passt.
Es ist also eher das Gegenteil von „Ich denke, also bin ich!“, wie es
Descartes ausdrückte. Es ist eher ein „Ich bin nicht, also bin ich!“ Dies meint den Raum, den Wirkkreis von „Wu“ oder „Kong“, Absichtslosigkeit und Leere.
Und genau, Sie schütteln vielleicht jetzt den Kopf oder sagen zumindest, das ist mir zu hoch – und genau das ist es, aber es ist tatsächlich erfahrbar.
Die zweite Achse ist die Achse von Raum und Zeit. Dies ist die Achse unserer Welt, die wir kennen und in der wir leben, der wir uns bewusst sind. Wir teilen alles ein in Raum und Zeit.
Doch inzwischen zeigt uns die Quantenphysik die Grenzen dieses Denkens und dieses Konzeptes auf. Da werden in Zukunft noch einige sogenannte Wahrheiten oder Gesetze fallen, das können Sie mir glauben.
Physikalische Konzepte werden sich den philosophisch-religiösen Konzepten immer mehr annähern – wer weiß, vielleicht irgendwann mal eins werden. In den alten, mystischen Traditionen ist dies bereits vor langer Zeit geschehen.