19/09/2023
Was macht man, wenn zwei Motorradkiller hinter einem her sind?
Die in schwarze Lederanzüge gekleideten Fahrer halten Pistolen in den Händen.
Was zur Hölle …?!
Dann reagiere ich nur noch. Vermutlich der Teil in mir, der durch den Kampfsport daran gewöhnt ist, blitzschnelle Entscheidungen zu treffen und umzusetzen, reißt das Steuer nach rechts. Der BMW schießt über den rechten Fahrstreifen auf die Abbiegespur vor den LKW, den ich gerade erst überholt habe.
Die Motorradfahrer folgen mir, doch nur einer schafft es wirklich. Der andere erwischt die Abtrennung zwischen Abbiegespur und rechtem Fahrstreifen und verliert die Kontrolle über sein Gefährt. Entsetzt beobachte ich, wie er gegen die Absperrung auf der rechten Seite kracht, einen Abflug macht und nach einer längeren Rutsch- und Rollphase schließlich zum Liegen kommt.
Bis der LKW mit quietschenden Reifen über ihn …
Ich wende meinen Blick ab. Meine Fantasie reicht völlig aus, mir vorzustellen, was die blockierten Reifen mit ihm anstellen, ich muss das nicht auch noch sehen.
Zumal ich immer noch einen Motorradfahrer im Nacken habe. Fast wörtlich. Vielleicht hat er nicht einmal gemerkt, was mit seinem Kollegen passiert ist. Jedenfalls ist er dicht hinter meinem Wagen, die Waffe auf mich gerichtet.
Ich reiße erneut das Steuer herum, gleichzeitig höre ich Scheiben zerbersten. Hinten und links. Anscheinend hat er genau in diesem Augenblick abgedrückt und die Kugel verfehlt mich haarscharf.
Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, ich bin nur noch im Überlebensmodus. Vor mir eine belebte, breite Straße, die zu der Einkaufsmeile führt. Ausgeschlossen, dass er die Jagd fortsetzt, hier gibt es viel zu viele Zeugen!
Und ich irre mich, wie ich schon bald erkenne.
Er ist mit dem Motorrad viel schneller als ich, bevor er also nah genug ist, um wieder schießen zu können, biege ich nach rechts ab.
Und schreie entsetzt auf, denn direkt vor mir befindet sich eine Baustelle. Ich trete mit aller Kraft auf die Bremse, doch trotzdem fliege ich geradezu auf eine Planierraupe zu. Lenkrad nach rechts, denn links ist ein riesiger LKW. Das ABS arbeitet brav und schüttelt den Wagen und mich kräftig durch. Fast reicht es auch.
Aber nur fast.
Mit der linken Seite treffe ich die Planierraupe, die sich davon relativ unbeeindruckt zeigt, im Gegensatz zum BMW. Aber danach steht das Auto endlich.
Ich brauche einige Sekunden, um mich zu sammeln. Dann blicke ich mich um. Der Motorradfahrer fährt auch nicht mehr, und mit diesem Motorrad garantiert nie wieder. Anscheinend hat er es geschafft, rechtzeitig abzusteigen und rappelt sich gerade auf.
Scheiße, haben die einen Terminator geschickt? Ich komme mir gerade wie Sarah Connor vor.
In panischer Angst klettere ich über die Mittelkonsole und stoße die Beifahrertür auf. Sie klemmt ein wenig, doch sie lässt sich wenigstens öffnen. Auf allen Vieren krieche ich aus dem Auto, dann erhebe ich mich und laufe los. Anfangs etwas wackelig, nach einigen Schritten wird es besser.
Ich biege nach links in eine Passage ein, komme an einer Buchhandlung und einer Pizzeria vorbei. Kurz denke ich darüber nach, in einen der beiden Läden zu rennen, doch dann sehe ich den Killer hinter mir und laufe weiter.
Auf der anderen Seite das sonnendurchflutete Zentrum. Voll mit Menschen. Und hinter mir der Killer, mit dem Motorradhelm auf dem Kopf und der Pistole in den Händen.
„Mama, die drehen einen Film!“, schreit ein kleiner Junge begeistert.
Wie er auf diese Idee kommt, ist mir ein Rätsel. Wahrscheinlich ist das eine glaubwürdigere Erklärung für ihn als dass die Szene echt ist. Für mich bedeutet es, dass ich um mein Leben kämpfen muss. Also ständig in Bewegung bleiben. Der da hinter mir darf gar nicht auf die Idee kommen, zu schießen. Entweder trifft er mich oder Unschuldige oder beides.
Links das Korners Megastore, ein riesiges Kaufhaus mit mehreren Etagen. Ich renne durch die geöffnete Tür und dann geduckt weiter. Am Geschrei hinter mir erkenne ich, dass der Killer nicht daran denkt, aufzugeben.
Ich komme an Haushaltswaren vorbei und lasse ein großes Küchenmesser mitgehen. Eine lächerliche Waffe gegen eine Pistole, aber besser als nichts. Und die Schusswaffen sind zu weit entfernt, außerdem gesichert.
Ich denke kurz an Korner, dem ich schon mal auf einem Empfang begegnet bin. Seine Vorfahren waren Einwanderer aus Deutschland, vor vielen Generationen. Die meisten wollten in die USA, aber nicht alle. Einer von denen, die nicht in die USA wollten, war ein Urgroßvater von Korner. Oder so ähnlich.
Seltsam, dass ich jetzt daran denken muss, während ich durch das Kaufhaus hetze, immer schön geduckt. Dann zur Treppe. Nach unten oder nach oben?
Ich entscheide mich für nach oben, denn da sind die Toiletten. Vielleicht schaffe ich es, schnell genug aus dem Fenster zu klettern und den Killer so abzuhängen, der durch seinen Helm und seinen Lederanzug gehandicapt ist.
Aber Pech gehabt.
Die Toilettenfenster sind vergittert, selbst in der ersten Etage.
Als die Tür aufgestoßen wird, fahre ich herum. Und starre ihn an. Mit der linken Hand halte ich den Messergriff, der mir fast entgleitet, weil ich schwitze wie in der Sauna. Mein T-Shirt klebt an meinem Oberkörper und zwischen den Brüsten. Über meinem Kopf das vergitterte Fenster, in meinem Rücken die geflieste Wand, links die Waschbecken und rechts die Kabinen.
Und vor mir der Mann, der mich aus diesem Leben befördern wird.
Die Pistole ist auf meine Stirn gerichtet, im herunter geklappten, schwarzen Visier kann ich mich sehen. Mein angstverzerrtes Gesicht, die Brüste unter dem nassen T-Shirt …
Warum schießt er nicht?
Dann wird mir klar, dass er meine Brüste anstarrt, die genauso gut zu sehen sind, als wäre ich n***t.
Als Zweites wird mir klar, dass ich vielleicht überleben werde. Vielleicht. Die Chance ist äußerst klein, aber größer als mit einem Loch in der Stirn. Mit viel, viel Glück verliere ich nur ein Auge.
Der schlanke, hochgewachsene Kerl steht so nah vor mir, dass die Pistolenmündung fast meine Stirn berührt. Jedenfalls kommt es mir so vor. Sein Brustkorb hebt und senkt sich schnell. Er stinkt nach Schweiß und Leder.
Ich stoße mit dem Messer von unten ansatzlos zu, gleichzeitig bewege ich mich nach rechts. Ein unmögliches Unterfangen, niemand ist schneller als eine Kugel. Aber besser, als untätig zu sterben, ist es auf jeden Fall.
Ich spüre, wie die Klinge in den Körper vor mir gleitet. Und ich höre den Schuss, unerträglich laut. Dann wird mein linker Arm nach hinten gerissen, der Rest meines Körpers mit. Mein Kopf prall gegen die harte Wand, dadurch wird es schwarz vor meinen Augen.
Doch ich bleibe bei Bewusstsein. Spüre, wie ich nach unten rutsche. Höre, wie etwas hart auf den Boden knallt. Mein Messer? Oder die Pistole?
Dann kann ich wieder sehen.
Der Killer steht vor mir, aber nicht mehr so nah, wie gerade noch. Ich sitze mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden und habe keine Ahnung, wie es um mich steht.
Um ihn jedoch steht es schlecht, das ist sicher. Der Griff des Haushaltsmessers mit der 30 cm-Klinge ragt aus seinem Solarplexus, er hält ihn fest und versucht, das Messer herauszuziehen. Dazu fehlt ihm eindeutig die Kraft, und während ich mich erstaunt frage, wie ich es überhaupt geschafft habe, die Klinge so tief in ihn hineinzujagen, fällt er langsam erst auf die Knie, dann nach vorne auf die Seite.
Er atmet röchelnd, aus seinem geöffneten Mund kommen blutige Blasen. Die Augen sind geöffnet, aber ich bezweifle, dass er mich sieht, obwohl er in meine Richtung starrt. Es wirkt eher so, als würde er seinen Schöpfer sehen. Oder den Todesengel. Oder was man halt so sieht, während man stirbt.
Schließlich hört er einfach auf zu atmen.
Ich wende den Blick langsam von ihm ab und sehe an mir hinunter. Mein T-Shirt ist immer noch nass und an der linken Seite blutig. Aber da ist kein Loch. Also lasse ich den Blick weiter schweifen, bis ich die Schusswunde in meinem linken Oberarm erkenne.
So unglaublich es eigentlich auch ist, ich war schnell genug, dass er nur meinen Arm getroffen hat, selbst aber zur Hölle gefahren ist.
Ich sollte Angst vor mir haben. Neun Männer verprügeln. Okay, eigentlich unmöglich, aber irgendwie erklärbar. Wunden über Nacht verheilt. Unmöglich und nicht wirklich erklärbar. Zwei Killer ausgeschaltet und selbst nur eine Schusswunde im Arm.
Absolut ausgeschlossen.
Dann werde ich wohl endlich ohnmächtig.