05/01/2025
Hans-Werner Sinn, umstrittener Energiewende-Kritiker und angesehener Ökonom, hat mal wieder eine Bühne in deutschen Medien bekommen.
Er erzählt - wie immer - wieder einige Schauermärchen. Aber: Es ist interessant, zu erfahren, wie er als Vertreter der fossil-atomaren Wirtschaft seine Argumentation in Nuancen ändert, weil die Energiewende-Wirklichkeit seine früheren Aussagen eingeholt hat. Also: Es wird lang, aber sinnvoll.
"Das Heizungsgesetz ist ein krankhafter Auswuchs einer zentralplanerischen Denkweise, die im krassen Gegensatz zu der liberalen Ordnung steht, die Deutschlands Erfolge in der Nachkriegszeit erklärt hat. Gut, dass es Parteien gibt, die dieses Gesetz abschaffen wollen."
=> Hierzu erübrigt sich jeder Kommentar. Einfach Murks.
"Dieser nun zusätzlich ins Auge gefasste Rückbau der Gasnetze ist ein Akt mutwilliger Zerstörung. [...] Erdgas ist eine sehr gute Brückentechnologie auf dem Weg zur Dekarbonisierung. Anstatt vorhandene Gasleitungen zu zerstören, sollte man lieber gasbetriebene Wärmepumpen empfehlen, die den Gasverbrauch weiter reduzieren helfen."
=> Eine Nuance Veränderung. Statt auf Gasheizungen soll man nun also auf gasbetriebene Wärmepumpen setzen, also sogenannte Hybridheizungen. Das sendet das Signal: Hauptsache weiter Gas verticken, damit die fossile Industrie auch noch was abbekommt....
"Gaskraftwerke sind im Übrigen als Komplemente und Partner des Wind- und Solarstroms unerlässlich, weil sie deren wetterbedingte Schwankungen bis hin zu Dunkelflauten ausgleichen. Ohne die Hilfe der konventionellen Stromquellen lässt sich der grüne Strom im Netz nun einmal nicht verwerten. Also Hände weg von den Gasleitungen."
=> Das ist sehr interessant. Hier geht Sinn bewusst oder unbewusst auf Dummfang. Bei den Leitungen, die zurückgebaut werden, handelt es sich um die Gasverteilnetze insbesondere in den Städten. Gaskraftwerke nutzen aber Gas als Energieträger, um Strom herzustellen. Die Infrastruktur, um Gas zu Gaskraftwerken und Gasspeichern zu bekommen bleibt aber selbstverständlich bestehen bzw. wird teilweise zum sogenannten Wasserstoff-Kernnetz weiterentwickelt.
"Es ist auch schon deshalb nicht sinnvoll, den gesamten Wärmemarkt auf Strom umzustellen, weil Deutschland damit im Kriegsfalle sehr verwundbar wäre. Mir graust es vor der Vorstellung, dass sich das Land in einem Cyberkrieg mit ein paar Mouseclicks einfrieren ließe, weil es nur noch elektrische Energie gibt."
=> Jetzt wird es vollständig dubios. Ich behaupte, dass Strominfrastruktur bei einem Cyberangriff sicherer wäre, als mehrere unterschiedliche Energieträger. Das Argument erscheint mir vorgeschoben, um wieder der Gasindustrie einen Gefallen zu tun, ihr doch noch Geschäft zu bescheren...
"Wenn Europa international handelbare Brennstoffe wie Erdgas oder Öl nicht mehr kauft, ist das nicht einmal ein kleiner Beitrag zur Verringerung des weltweiten CO₂-Ausstoßes, denn die Brennstoffe, die wir freigeben, werden in diesem Fall nur anderswohin geleitet und dort zu fallenden Preisen verkauft."
=> Hier kommt wieder sein grünes Paradoxon, das schlicht unsinnig ist. Beispiel: Exxon und ein weiterer amerikanischer Ölkonzern ziehen sich gerade aus der Nordsee zurück - Grund: Zu wenig Nachfrage. D.h. die fossilen Rohstoffe bleiben im Boden. Das hat keinerlei Auswirkungen auf den Preis oder das Angebot anderswo.
"Nur ein Klima-Club, der alle wichtigen Verbraucherländer der Welt umfasst, wäre theoretisch in der Lage, das Unterlaufen der eigenen Umweltpolitik durch andere zu verhindern und die Ressourcenländer zu zwingen, ihre Kohlenstoffe in der Erde zu lassen. Zu diesem Klima-Club müssten neben der EU mindestens die USA, China, Indien und Brasilien gehören."
=> Das ist eine weitere interessante Nuance. Sinn plädiert hier für ein Instrument, das nicht wirklich realistisch umsetzbar ist. Mit Trump natürlich gar nicht. Ist natürlich sehr praktisch, so zu tun, als wolle man Klimaschutz, in dem man unrealistische Instrumente als einzig denkbare Lösung postuliert.
"Dazu gehört der Ersatz der heimischen Braunkohle- durch Atomkraftwerke und vor allem die Sequestrierung von CO₂, etwa in Form einer Verpressung von flüssigem CO₂ in alten Gasfeldern unter dem Meeresboden."
=> Jetzt wird es wieder sehr spaßig. Braunkohlekraftwerke - diese sind oft nur noch als Reservekraftwerke im Dienst - sollen durch Atomkraftwerke ersetzt werden.
Machen wir mal die Rechnung: 2022 lieferten die 3 AKWs 34,7 Mrd. kWh. Braunkohle lag 2023 bei 87,5 kWh. Es bräuchte also überschlagsweise 9 AKWs, um nur den Braunkohleanteil zu ersetzen. Bis aber 9 AKWs gebaut wäre, würden mindestens 10, vielleicht 20 Jahre vergehen. Irgendeine Logik außer fossiles Weiter-So erkennbar? Nein.
"Wir hatten im Jahr 2023 insgesamt 520 Stunden, in denen der Strompreis im Day-ahead-Markt null oder negativ war. Den in dieser Zeit produzierten Grünstrom haben wir stolz zur Leistungsstatistik des grünen Stroms hinzugerechnet, obwohl er keinerlei Wert hatte."
=> Es schmerzt. Weil es negative Strompreise gibt ist der Strom wertlos? Das ist grotesk! Also unsere Elektroauto freut sich über kostenlosen Ökostrom genauso wie über solchen, für den ich 30 Cent berappen muss.
Es mag ein Funken Wahrheit für einen kleinen Teil des Stroms dran sein. Aber in der genannten Pauschalität ist es eine vollkommen dubiose Falschbehauptung.
Und dann geht es zum Schluss noch um Frankreich und deren hohen Schuldenstand: "Frankreichs hemmungslose Schuldenneigung gefährdet die Stabilität des Euro und der ganzen EU."
=> Interessant, dass in diesem Interview erstmals NICHT davon gesprochen wird, dass deutsche Wasserstoff aus Frankreich in Massen importieren werde, weil diese AKWs ach so viel Strom lieferten. Stattdessen wird Frankreich wegen der hohen Schuldenlast angezählt. Und was ist ein entscheidender Faktor für die hohe Schuldenquote? Richtig: Der marode AKW-Park in Frankreich, die irrsinnige Schuldenlast von EDF, die Subventionierung der Strompreise und der völlig überteuerte Bau des neuen AKWs...
Insgesamt zeigt sich also: Es fällt auch klugen Köpfen wie Sinn, die offensichtlich das fossil-atomare Zeitalter verlängern wollen, immer schwerer gegen den Erfolg der Energiewende anzureden. Die Argumente werden teilweise vollkommen abstrus. Gut so!