11/04/2021
Frühlingsspaziergang auf Sylt
Eine der schönsten Deutschen Inseln in Zeiten von Corona
Ein Bericht von Gerd Rapior
Sie gehen gerne und regelmäßig auf der Strandpromenade Richtung Wenningstedt, am Ende des hölzernen Strandpfades steigen sie gefühlt zahllose Stufen hoch, um die Düne zu überqueren, folgen dann dem Weg Richtung Norden, den sich Fußgänger und Radfahrer teilen. Melanie und Arne Riemer fühlen sich privilegiert, dürfen trotz Corona auf ihre Insel, weil sie in Westerland eine Zweitwohnung besitzen. Sie sind Sylt-Fans, genießen das Leben auf der Insel der Inseln, dort wo normalerweise viele Menschen durch die Dünen oder am Strand sparzieren gegen, in den Restaurants, Bars und Bistros schwelgen, tanzen, plaudern und lachen. Sie freuen sich über die vielen fröhlichen Menschen, manche normal, andere sehr extravagant und auffällig daherkommend und schätzen regelmäßig auch das Shoppen in einer der zahlreichen hervorragenden Boutiquen. Zur Zeit sieht es allerdings ganz anders aus, denn mit Corona gibt es massive Einschränkungen.
Dort wo sich sonst tausende Menschen im Frühjahr zu Ostern und Pfingsten auf der Insel tummeln, ist es ruhig und leer. Die Insulaner sind so gut wie unter sich, nur Zweitwohnungsbesitzer (oder diejenigen, die vorgeben solche zu sein) und Geschäftsreisende bewegen sich auf der Insel. Die „Touristenlosigkeit“ freut sicherlich so manchen Einheimischen, dem es mit den Touristen manchmal zu viel wird, doch für die meisten ist es ein großes Problem, denn sie brauchen die Besucher, leben von ihnen.
Die Hände in den Schoß zu legen und auf bessere Zeiten zu warten, ist nicht das Ding von Cordula und Tobias Kusch. Sie betreiben das „Tobi´s Hüs“ in Westerland und das „Pony“ in Kampen. Sie haben sich mit ihrem Slogen „zu Gast bei Freunden“ inselweit einen Namen gemacht, genauso mit dem legendären Rindertatar oder der Tagialtelle in Trüffelsud mit Rinderfiletspitzen, um nur einiges zu nennen.
Dort wo sonst die Gäste die Köstlichkeiten von Tobi´s Küche genießen, stapeln sich Kartons mit neuen Stühlen. In den vergangenen fünf Monaten hat Tobi beide Restaurants kräftig umgebaut, die Toiletten grundsaniert, das Mobiliar ausgetauscht. Da kommt schon schnell einer hoher 6stelliger Betrag zusammen, berichtet er. Aber Hauptsache er habe wieder Gäste, die er verwöhnen kann. Bis dahin verkauft er aus seinem zum Food Truck umgebauten gelben amerikanischen Schulbus seine leckere Currywurst, Kaiserschmarren oder Trüffel-Pommes und Wein „to go“. Im Mai, so hofft er, geht es endlich wieder los, allerdings mit Einschränkungen, so seine Prognose. Und es wird auch Zeit, denn ihm fehlen mit den Gästen die Einnahmen. Sie leben von staatlichen Hilfen und ihrer Substanz. Was die Gastronomen in der für sie schrecklichen Zeit dann doch gefreut habe, sei, dass die staatliche Unterstützung schnell und unbürokratisch floss. Die Investitionen wären sonst nicht möglich gewesen. Jeden Tag seien Corda und Tobi gemeinsam oder abwechselnd am Truck, weil sie den Kontakt zu ihren Kunden auf keinen Fall verlieren wollten. Nach Corona soll es dann gemeinsam wieder losgehen, dann soll der Slogan „zu Gast bei Freunden“ wieder Realität werden.
Andere haben keine positive Erfahrung mit den staatlichen Finanzhilfen gemacht. Peter Scheel von der Haubetreuung Scheel in Westerland betreut viele Ferienwohnungen, die derzeit natürlich leer stehen. Genauso wie beispielsweise Astrid Manthey von der Bücherdeele in Keitum. Beide warten immer noch auf die sogenannten Novemberhilfen. Es ist nur noch eine Frage von wenigen Monaten, bis ihre Reserven endgültig verbraucht sind.
Mit Phantasie und Ideenreichtum versucht Niklas Ertl über die Runden zu kommen. Er ist Sommelier im Söl´ring Hof, der dem Sternekoch Jonannes King gehört. Der aus dem bayerischen Regen stammende Weinprofi kam nach verschiedenen Stationen, auch in den ersten Häusern Wiens, wieder nach Sylt zurück und ging mehr oder weniger sofort in die Kurzarbeit. Nun organisiert er das kulinarische Außer-Haus-Angebot im Keitumer Bistro von Johannes King. Der sympathische und wortgewandte 23jährige hat eine Idee entwickelt, die bei den Gästen bestes ankommt. Er verkauft neben den Köstlichkeiten auch Wein-to-go und verleiht gleichzeitig Eimer mit Eis als Kühler. Und so sitzen die Gäste im Ort verstreut auf Bänken in der Sonne, genießen die Köstlichkeiten im gewohnten Sylt-Feeling. Dennoch ein etwas unwirklich anmutendes Unterfangen, in gebührendem Abstand an der frischen Luft.
Birgit Gräfe von der Trüffelmanufaktur in Keitum hat überhaupt kein Verständnis dafür, dass die Gastronomie komplett geschlossen ist und auch die Außenbereiche nicht genutzt werden dürfen. Sie ist davon überzeugt, dass wegen der perfekten Hygienekonzepte eine Ansteckung in der Gastronomie kaum möglich sei. Birgit arbeitet sehr gerne für Ireen Feldmann, die vor 3 Jahren die Trüffelmanufaktur in Keitum eröffnet hat, in deren kleinem mehr intimen Restaurant Freunde des edlen Pilzes die unterschiedlichen Gerichte als Gaumenschmaus erleben können. Aber auch sonst ist dort alles zu bekommen, was mit Trüffeln geschmacklich verfeinert werden kann. Von Trüffelnudeln, über Öle, Balsamico, Schokoladen bis hin zu alkoholischen Getränken. Der Genießer und Betrachter kann sich nur wundern, wie vielen Produkten der Trüffel seine Krone aufsetzen kann.
Brigit Gräfe vermisse ihre Gäste sehr, berichtet sie. Sie hoffe inständig auf ein baldiges Ende der Pandemie und freue sich wieder auf zufriedene Gäste und die Gespräche mit Besuchern über Trüffel und „Gott und die Welt“. Bis dahin steht sie am Eingang vor der Manufaktur und verkauft ihre Trüffelspezialitäten außer Haus. Ein mühsames Geschäft auf einer Ferieninsel, der die Gäste fehlen.
Aber es gibt auch Nutznießer der Corona-Krise. In der „159.Galerie“ in Keitum, die es auch in Kitzbühel und auf Mallorca gibt, stellen gerade zwei Fotografen aus, die sich auf Tierfotografie spezialisiert haben: Der 48jährige Lars Beusker und sein Mentor David Yarrow, der weltweit als Ausnahmefotograf gilt. Die Ausstellung in Keitum gilt in Fachkreisen als einmalig. Unvergleichliche Perspektiven und beindruckende Fotos, deren Entstehung manchmal nicht ungefährlich für die Fotografen war. Atemberaubende Zeugnisse aus der Tierwelt Afrikas und Asiens, die ihres gleichen suchen. Die Preise der großen Schwarz-Weiß-Kunstwerke sind stolz, weil die Auflage weltweit auf maximal 10 Bilder pro Foto limitiert ist. Darum muss der Sammler schon mindestens 20.000 Euro pro Exemplar auf den Tisch der Agentur legen. Der charismatische Lars Beusker berichtet, dass viele Menschen in der Pandemiezeit auf ihre Luxusreisen verzichten mussten und das Geld in Kunst und so auch in seine besondere Kunstfotografie investiert haben.
Mögen in Pandemie-Zeiten die persönlichen Verhältnisse und Wege aus der Krise auch sehr unterschiedlich sein. Eines eint die Menschen auf der Insel: Die nordfriesische Gelassenheit, dass man nicht ändern kann, was derzeit nicht zu ändern ist und die tiefe Zuversicht, dass in wenigen Monaten langsam wieder Normalität eintreten werde. Die Sylt-Fans Melanie und Arne Riemer müssen so lange nicht warten, dank ihrer Zweitwohnung werden sie bald auf ihre geliebte Insel zurückkehren.
Bildunterschriften
Cordula und Tobias Kusch betreiben „Tobi´s Hüs“ und das „Pony“. Sie setzen darauf, dass im Mai der Gastronomiebetrieb wieder anläuft, allerdings mit Einschränkungen.
Kontakt mit den Kunden in Pandemie-Zeiten. Außer-Haus-Verkauf vom Food-Truck.
Niklas Ertl organsiert den Außer-Haus-Verkauf bei Johannes King mit viel Phantasie und Ideenreichtum
Birgit Gräfe hofft bald wieder Menschen, die an Trüffeln interessiert sind oder sie lieben, beraten und bedienen zu können.
Lars Beusker gehört zu den Künstlern, die mit Kamera und Stativ die seltensten Momente afrikanischen oder asiatischen Tierlebens einfangen.