23/12/2024
Tag 23 im EPV-Adventskalender:
"Der Besuch" von Andreas Schwedt aus dem Buch "Weihnachtszauber"
Caroline schloss die Haustür auf und trat ins Haus.
Sie schaute auf die Uhr. Sie hatte noch eine Stunde Zeit, bevor sie zu ihrem Teilzeitjob aufbrechen musste. Wie zuvor schon so oft hoffte sie auch heute, dass sie ihre Arbeitsstelle pünktlich verlassen konnte, um ihren Sohn bei Zeiten wieder vom Kindergarten, zu dem sie ihn gerade gebracht hatte, abholen zu können.
Seitdem Günter vor vier Wochen kurz vor dem ersten Advent verstorben war, hatte sich ihr Stresslevel zwischen Haushalt, Kind und Job vervielfacht.
Wie sehr hatten sie und Günter sich vor nunmehr fünf Jahren gefreut, als ihr Kind, Thomas, das Licht der Welt erblickte.
Und nun … hatte Günter nichts mehr, um sich daran zu erfreuen. Ebenso hatte sich ein tiefer Graben in Thomas‘ Herz gegraben. Er konnte ihn nicht vom Vergangenen zum Diesseitigen überbrücken. Aber schließlich war das traurige Ereignis auch erst kurze Zeit her. Sein Vater war von jetzt auf gleich weg, Thomas konnte es bis heute nicht verstehen.
Natürlich hatte Caroline überlegt, was und wie sie es ihrem Sohn erklären sollte.
Günter hatte in der nahegelegenen Chemiefabrik in einer Führungsposition gearbeitet. Die meiste Zeit saß er am Schreibtisch in einem Nebengebäude der Produktion. Einmal in seiner Schicht musste er jedoch einen Kontrollgang durch die Anlage machen, um den reibungslosen Ablauf der Arbeitsschritte zu überprüfen. So auch vor vier Wochen.
Er ging, so ließ es sich Caroline später erzählen, wie gewöhnlich auf dem Firmengelände umher. Irgendwann kam er in einen Arbeitsraum, in dem chemische Stoffe gemischt wurden. Zwei Mitarbeiter waren zugegen und überwachten die Prozesse.
Doch gerade, als Günter eingetreten war, schauten sich die Mitarbeiter ängstlich an.
„Was ist denn?“, fragte Günter, dem die Blicke nicht entgangen waren.
Doch trotz einer Antwort hasteten die beiden zum Ausgang, während Günter verwundert mitten im Raum stehen blieb.
Er musste gehört haben, wie einer der Mitarbeiter „RAUS!!!“ schrie. Und das war wohl auch das Letzte, was er hörte.
Mit einem ohrenbetäubenden Knall verpufften die chemischen Substanzen. Wie eine kleine Atombombe wurde der Raum in einen Feuerball verwandelt und eine unbeschreibliche Druckwelle ließ die steinernen Wände zerbärsten.
Günter war sofort tot, während die Mitarbeiter mit leichten Verletzungen davonkamen.
Caroline wurde eine Stunde später nach dem Unglück informiert. Sie war zuhause, als das Telefon klingelte. Thomas hatte sie da schon in den Kindergarten gebracht. Die Nachricht löste in ihr nichts als ein Vakuum aus. Sie hatte Günter geliebt. Ihre Liebe war Vergangenheit. Sie hatten sich ein sicheres Leben aufgebaut. Es war Vergangenheit. Wenn sie nicht ganz bald finanzielle Unterstützung erhielt, würde sie mit ihrem Kind und ihrer Teilzeitstelle das Haus nicht halten können. Sie hoffte, dass die Witwenrente dies verhindert konnte.
Neben diesen Gedanken, die ihr kurz nach der Überbringung der unheilvollen Nachricht durch den Kopf gingen, schälte sich ein Gedanke immer mehr in den Vordergrund: Wie sollte sie ihrem fünfjährigen Sohn beibringen, dass sein Vater nie wiederkommen würde?
Natürlich hatte Thomas noch am selben Abend gefragt, wo sein Vater denn bleiben würde. Caroline hatte ihn vertröstet, dass er heute länger arbeiten müsse.
Doch schon am nächsten Abend, gestand sich Caroline ein, dass sie nicht wieder und wieder diese Erklärung für den Verbleib des Vaters geben konnte. Selbst mit seinen fünf Jahren würde der Junge irgendwann begreifen, dass hier etwas nicht stimmte.
Nachdem sie den Fragen ihres Kindes weitere drei Tage ausgewichen war, gab sie sich einen Ruck und erklärte ihm, dass sein Vater bei der Arbeit von Engeln in den Himmel getragen wurde und dort nun eine Mission zu erfüllen hatte. Er würde nicht mehr auf die Erde kommen, er würde ihn jedoch irgendwann im Himmel wiedersehen. Caroline konnte merken, dass ihr kleines Kind zwar den Köder schluckte, jedoch nicht vollständig. Sie strich ihm über das Haar und als sie sagte: „Aber wir haben immer noch uns“, sprudelte es aus dem Jungen heraus.
„Aber warum haben ihn die Engel einfach mitgenommen? Wieso haben sie nicht erlaubt, dass er sich bei mir verabschiedet?“
Unbemerkt waren bei Caroline die Tränen geflossen, als sie leise zu ihm sagte und zugestand: „Das kann ich dir nicht sagen. Wir verstehen die Welt der Engel nicht. Aber ich bin sicher, dein Papa ist dort gut aufgehoben.“ Trotz dieser wohlmeinenden Erklärung und dem Schweigen ihres Sohnes spürte Caroline, dass Thomas diese Erklärung nicht akzeptieren wollte.
In den folgenden Tagen merkte sie, dass ihr Junge über das Fehlen seines Vaters nicht hinwegkam. Wie sollte sie ihn nur wieder zu einem fröhlichen, aufgeschlossenen Kind machen, dass er vor der traurigen Begebenheit war? Sie quälte sich sehr mit diesem Gedanken, vor allen Dingen, weil das Weihnachtsfest vor der Tür stand.
Einige Tage später wollte sie wie immer mit ihrem Auto zur Arbeit fahren, doch es sprang nicht an. Was tun? Es war wichtig, dass sie zu ihrer Arbeitsstelle kam. So stieg sie in den Bus ein, der unmittelbar vor ihrer Haustür abfuhr.
Es war ungemütlich. Viel zu viele Menschen auf viel zu kleinem Raum.
Einige Teenager, die den Bus an diesem Morgen nutzen, um zur Schule zu kommen, schrien laut herum.
Caroline fühlte sich absolut nicht wohl. Dabei entdeckte sie einen Mann, der sich offensichtlich genauso unwohl fühlte wie sie.
Sie inspizierte ihn genauer. Und auf einmal war da ein Gefühl, als wenn ein Blitz in ihr eingeschlagen hätte: Dieser Mann sah genauso aus wie ihr verstorbener Günter. Und da war ein Gedanke, der sie nur Sekunden später dazu drang, zu ihm hinüberzugehen.
Sie tat es ganz langsam, nur kein Aufsehen bei ihm oder den anderen Fahrgästen hervorrufen. Sie hasste es, im Mittelpunkt zu stehen. Außerdem war sie nicht der Typ, der andere Menschen ansprach, und schon gar nicht wildfremde Männer. Die Überraschung, dass sich dieser Herr optisch so mit ihrem Ehemann vergleichen ließ, ließ sie über diese Grenze hinwegsehen.
Als sie vor ihm stand und ihn anblickte, bemerkte er es.
„Was … kann ich für Sie tun?“, fragte er mehr überrascht als ärgerlich, weil sie ihn anstarrte.
Und sie starrte noch mehr, als sie bemerkte, dass sogar die Stimme dieses Fremden ihrem Ehemann ähnlich war.
Einen Moment lang schwiegen sie beide. Jeder für sich wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte.
Doch Caroline musste sich zusammenreißen, denn sie wusste nicht, ob der Mann bald aussteigen wollte.
„Ich … Sie … könnten etwas ganz Besonderes für mich tun …“, stotterte sie und sah sofort, dass er es ganz anders auffasste als sie meinte. Auf seiner Stirn hatten sich Falten gebildet und er hatte die Augen zusammengekniffen. Dabei musterte er sie von oben bis unten.
„Nein, nein, nicht was Sie jetzt vielleicht denken, weil ich mich so unglücklich ausgedrückt habe“, sagte sie schnell und sein Gesicht entspannte sich etwas. „Es geht nicht um mich …“ Wieder stand Unverständnis in seinem Gesicht. „Ich würde es Ihnen gerne etwas genauer erklären“, sagte sie. Es war mehr als eine Bitte, Flehen lag in ihrer Stimme. „Aber an der nächsten Haltestelle muss ich raus“, erwiderte der Mann und sie merkte, dass es ihm unangenehm war, dass nun die nahestehenden Fahrgäste etwas von dieser seltsamen Unterhaltung mitbekamen.
„Ach! Ich doch auch“, sagte sie schnell und sah, dass es ihm noch unangenehmer wurde. Dass sie dadurch zu spät zur Arbeit kam, würde sie gerne in Kauf nehmen, sollte ihre Mission erfolgreich sein.
„Aber ich bin auf dem Weg zur Arbeit“, versuchte er sie abzuschütteln. Doch vielleicht war auch der Charakter so wie das Aussehen ihrem Mann gleich.
„Ich könnte wetten, Sie haben sich schon so früh auf den Weg gemacht, dass Sie noch einen ziemlich großen Zeitpuffer bis zu Ihrem Arbeitsbeginn haben.“ Er sah sie überrascht an. Und Caroline wusste, dass sie richtig gelegen und zumindest einen ersten Sieg errungen hatte. Denn dieser besondere Mann würde sie nicht so schnell loswerden.
Als der Tag des Heiligen Abends kam, tat Caroline ihr Sohn leid. Wie ein Häufchen Elend saß er da. Gerade jetzt zur Zeit der Feiertage war es schwierig, ohne seinen geliebten Vater auskommen zu müssen. Doch so leid er ihr auch tat, sie wusste, nein, besser sie hoffte, dass sich seine Laune schon recht bald ändern würde.
Thomas hatte sich noch bis gestern vehement gewehrt, sich dieses Jahr etwas zu wünschen. Caroline wusste, dass ihn kein Geschenk der Welt zufrieden gestellt hätte, würde sein Vater nicht noch einmal vorbeikommen. Doch der war tot. Unwiderruflich. Und das wusste auch Thomas. Doch konnte er es nicht schaffen, die Trauer an den Feiertagen beiseite zu schieben. Wie sollte das für ein kleines Kind auch möglich sein?
Natürlich hatte Caroline ihrem Kind trotzdem einige Sachen gekauft. Spielzeuge, von denen sie wusste, dass er sich darüber freuen würde. Dass sie dieses Jahr keine Geschenke bekommen würde, machte ihr nichts aus. Ihr Mann war tot, ihr Junge war viel zu klein, etwas für sie zu besorgen. Wichtig war nur, dass es Thomas wieder besser ging. Schon in so jungen Jahren konnte sich Trübsinnigkeit festsetzen, die bis ins Erwachsenenalter als Depression auswachsen konnte. Ein solch bedrückendes Leben wollte sie ihrem Sohn niemals zumuten.
Es war ihr unmöglich, so wie all die Jahre zuvor mit ihrem Mann und ihrem Kind, heute allein mit Thomas in die Kirche zu gehen. Thomas‘ Gesicht zeigte etwas anderes als Weihnachtsfreude und mit seinen fünf Jahren hatte er bestimmt an diesem Tag keine Lust auf eine Ansprache. Und auch wenn Caroline wusste, dass Gottes Wege unergründlich waren, so hatte sie in dieser Zeit Zweifel, ob die Weihnachtsbotschaft stimmte, dass das Jesuskind als Retter geschickt worden war. Ihren Günter jedenfalls hatte es jedenfalls nicht gerettet.
Was an einem Heiligen Abend aber auf keinen Fall fehlen durfte, fand Caroline, war, dass ihr Junge Geschenke bekam, die ihn spüren ließen, dass es sich trotz allem um eine besondere Zeit handelte.
Ihr tat es in der Seele weh, zu sehen, wie ihr kleines Kind vor sich hinstarrte. Doch sie zwang sich noch bis zum Einbruch der Dämmerung durchzuhalten. Dann entzündete sie die Kerzen am Weihnachtsbaum und stellte das Radio an. Es liefen neue, kitschige Versionen der altbekannten Weihnachtslieder.
„Der Weihnachtsmann war da“, sagte sie zu Thomas.
Doch er blickte sie nicht einmal an.
Verhalten und voller Sorge, ob sie es an diesem Tag überhaupt noch schaffen würde seine Stimmung zu heben, klaubte sie hinter dem Weihnachtsbaum die Geschenke für ihn hervor. Eines nach dem anderen stellte sie auf den Tisch direkt vor ihn. Sein Blick war glasig, er schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein.
„Nun pack mal aus“, forderte Caroline ihren Sohn auf. „Das ist alles für dich.“
Ganz langsam, mit einer Unlust, die sie bei Kindern, wenn sie etwas geschenkt bekamen, noch nie gesehen hatte, begann er das erste Geschenk auszupacken. Zum Vorschein kam ein gelber Bagger. Caroline wusste schließlich, dass er am liebsten mit Baustellenfahrzeugen spielte. Und zum ersten Mal an diesem Tag lächelte er tatsächlich ein ganz klein wenig.
Dann machte er sich mit ein wenig mehr Elan daran, die restlichen Geschenke auszupacken. Es waren alles Dinge, bei denen er unter normalen Umständen nach dem Erblicken sofort mehrere Luftsprünge gemacht hätte.
Caroline sah zwar, dass er sich über die ganzen Geschenke freute, jedoch nahm sie auch wahr, dass dies oberflächlich war. Sie merkte ihm an, dass die Trauer über seinen Vater so tief in ihm verborgen war, dass auch die schönsten Geschenke diese nicht vertreiben konnten.
Sie setzte sich neben ihn, streichelte ihm über das Haar. Dann zog sie ihn an sich heran und drückte seinen Kopf an ihre Brust.
Nach einer Weile spürte sie, dass Nässe ihren Pullover durchdrang. Vorsichtig schaute sie auf ihr Kind herab. An seinem Gesicht konnte sie sehen, dass er weinte. Lautlos. Stumm. Er war ein so tapferer kleiner Junge. Es brach ihr fast das Herz, dass er so tieftraurig war.
Sie wusste nicht, was sie dagegen tun sollte, da klingelte es an der Haustür. Der Kopf ihres Jungen schoss hoch und er sah seine Mutter verwirrt an.
„Oh, wir bekommen Besuch“, sagte Caroline so heiter, wie sie es nur konnte.
Sie schob Thomas in eine sichere Sitzposition, dann ging sie langsam zur Wohnungstür.
Bevor sie öffnete, drehte sie sich noch einmal zu ihrem Sohn um, sah, dass sein Gesicht tränennass war.
Als sie die Tür öffnete und den Besucher sogleich erkannte, drehte sie ihren Kopf wieder in Richtung ihres Jungen.
Eine Veränderung hatte sich beim Erscheinen des Besuchers vollzogen, die sie in dieser Form nicht erwartet hatte: Thomas schienen die Augen aus dem Kopf zu kommen. Insgeheim lächelte Caroline, denn genau das hatte sie beabsichtigt.
„Guten Abend“, sagte der Herr, der in der Tür stand.
Noch während er auf ein Zeichen von Caroline in die Wohnung trat, stürmte Thomas auf den Mann zu. „Papa … du bist zurückgekommen?“
„Ja“, entgegnete der ihm bekannte Mann. „Aber nur, um mich von dir zu verabschieden.“ Thomas traten wieder Tränen in die Augen.
Jetzt umarmte er den Mann und Caroline konnte sehen, wie auch die Augen ihres Gastes feucht wurden.
„Papa, warum bist du einfach so weggegangen, ohne Tschüss zu sagen?“, fragte der kleine Junge, nachdem er den Mann, den er als seinen Vater identifiziert hatte, endlich losgelassen hatte.
„Ich wurde in den Himmel gerufen“, sagte der vermeintliche Vater. Thomas senkte den Blick.
„Und warum hast du dich nicht schon früher von mir verabschiedet?“
„Es war sehr eilig. Ich muss mich fortan darum kümmern, Kinder glücklich zu machen.“ „Wie … soll das gehen?“ Thomas war irritiert.
„Nun, um ihnen Freude zu bereiten. Genauso, wie du dich hoffentlich freust, dass ich noch einmal vorbeigekommen bin.“
Thomas sah den Mann verdutzt an, war noch gar nicht in dem Alter, um adäquat zu reagieren.
„Ich lieb dich, Papa“, stieß er aus.
„Ich dich auch“, sagte der Mann, der nun Thomas umarmte. „Aber ich habe eine Mission für den Himmel zu erfüllen, Kinder wie dich glücklich zu machen. Deswegen werden wir uns wahrscheinlich eine ganze Weile nicht wiedersehen.“
Als Thomas aufblickte und dem Mann ins Gesicht schaute, war er wieder den Tränen nahe.
„Aber das ist ungerecht. Du bist mein Papa, und du musst hier bei mir sein.“
Der Mann atmete tief durch und als sie beide wieder auf etwas Abstand waren, sagte er: „Es gibt so viele einsame Kinder, so viele einsame Seelen, die sich nach ein wenig Freude sehnen. Und dafür bin ich nun einmal ausgewählt worden. Du möchtest doch sicher auch, dass andere Kinder genauso eine Freude empfinden wie du heute.“ Große Erklärungen dazu waren nicht nötig: Zaghaft lächelte Thomas.
„Dies ist nicht das Ende unserer gemeinsamen Tage. Wir sehen uns wieder. Irgendwann im Himmel. Und jetzt verabschiede ich mich von dir. Und du verabschiede dich von deinem Vater. Wir sehen uns wieder. Sag Auf Wiedersehen.“
„Auf … Wiedersehen“, stammelte Thomas zaghaft und schaute dabei den Mann liebevoll an.
Auch wenn ihr Junge sehr verhalten wirkte, spürte Caroline, dass bei ihrem Sohn endlich ein Knoten gelöst war. Endlich hatte er Abschied nehmen können, und er sah tatsächlich glücklicher aus.
„Nun, dann will ich mal meinen Weg fortsetzen“, sagte der Mann als er sich zum Gehen wandte. Kurz vor der Tür blickte er sich noch einmal um und sagte: „Wir sehen uns wieder, kleiner Mann. Ganz bestimmt.“
Caroline öffnete die Tür und der Besucher verschwand. Als sie sich wieder ihrem Sohn zuwandte, war er bereits wieder auf der Eckbank. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, während er mit seinen Geschenken spielte. Thomas schien wie ausgewechselt. Er hatte sich endlich von seinem Vater verabschieden können. Dem Mann, der zwar nicht sein leiblicher Vater war, aber alles gegeben hatte, um eben wie dieser zu wirken. Offensichtlich war es ihm gelungen.
Caroline freute sich schon auf das Treffen morgen. Zu einer kleinen Nachbesprechung. Was war es für ein Glück gewesen, diesen Menschen zu treffen. Mit dem Aussehen, der Stimme und den Charaktereigenschaften, die auch ihr Mann gehabt hatte. Dem Mann, den sie unendlich geliebt hatte. Und genau diese Liebe hatte sich entfacht, als sie mit dem bis dahin Unbekannten aus der Straßenbahn gestiegen war. Seltsamerweise hatte er eine Frau gehabt, die ihr glich. Er hatte sie und ihren kleinen Sohn bei einem tragischen Autounfall verloren. Und was Caroline erst später erfahren würde, war, dass auch wenn es noch immer schmerzte, er sich nicht hatte dagegen wehren können, dass er mit ihrer ersten Begegnung zu Caroline diese Vertrautheit so, wie zu seiner Frau gespürt hatte.
Sie würden sich wiedersehen. Gleich morgen in einem kleinen Café.
Caroline fühlte tatsächlich schon einige Schmetterlinge in ihrem Bauch. Schließlich war der Mann das Ebenbild ihres geliebten Ehemanns. Vielleicht ging es ihrem Gegenüber genauso.
Als Caroline später ihren Jungen schlaftrunken ins Bett brachte, lächelte nicht nur er, sondern auch sie. Für ihren Sohn war es der schönste Heiligabend, den er bis dahin erleben durfte. Er hatte sich verabschieden können. Von seinem Vater.
Vielleicht würde Günter aber auch für eine andere Mission auf die Erde zurückkommen. Als Vater und Ehemann. Vielleicht würde dies sich morgen in einem kleinen Café entscheiden.
Caroline lächelte, als ihr im Bett die Augen zufielen und es auch für sie der bisher schönste Heilige Abend ihres Lebens gewesen war.
https://www.verlag-epv.de/kurzgeschichten.html