Hanauer Bote

Hanauer Bote Das wöchentliche Mitteilungsblatt für die Stadt Hanau Auch über konstruktive Kritik zu unserer Arbeit freuen wir uns. Ihre Beiträge entfernen wir zeitnah.

Seit 1992 informiert der Hanauer Bote jeden Mittwoch kostenlos über das Geschehen in der Brüder-Grimm-Stadt. Mit einer Auflage von rund 39.000 Exemplaren erreicht der Bote flächendeckend alle Haushalte in Hanau. „Zeitung für alle“ ist seit jeher das Credo des Boten, seit die erste Ausgabe Anfang der 70er Jahre erschien. Ursprünglich ein Medium für öffentliche Bekanntmachungen und Mitteilungen der

Gemeinden, entwickelte sich der Bote schnell zur geschätzten Plattform für regionale Vereine, um über ihre Arbeit und ihre Veranstaltungen zu berichten. Inzwischen erscheint die Gesamtausgabe, der Mittelhessen-Bote, in einer Auflage von mehr als 325.000 Exemplaren. Ohne das eigentliche Konzept, Partner der Vereine zu sein, verlassen zu haben, berichtet der Hanauer Bote inzwischen selbst aktiv über Ereignisse aus der Region: Spannende Reportagen, das Leben in den Vereinen, aber auch kritische Töne zum politischen Geschehen gehören inzwischen zum inhaltlichen Erscheinungsbild des Hanauer Boten - einmal die Woche kostenfrei in jedem Haushalt. Spielregeln:
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Ehrenpflicht Im Jahr 1525, also vor 500 Jahren, verfassten in Memmingen die Allgäuer Bauern die „Zwölf Artikel“, die als...
22/02/2025

Ehrenpflicht

Im Jahr 1525, also vor 500 Jahren, verfassten in Memmingen die Allgäuer Bauern die „Zwölf Artikel“, die als eine der ersten niedergeschriebenen Erklärungen von Menschenrechten gilt und in ganz Deutschland und darüber hinaus Verbreitung fand. Gefordert wurden hier, mitten in den deutschen Bauernkriegen, Freiheits- und Wahlrechte. Rund 70.000 Menschen, darunter nicht nur Bauern, sondern auch viele Bürger, wurden damals beim Kampf für die Freiheit und Selbstbestimmung von den Söldnern der Fürsten erschlagen oder hingerichtet.
Der Schlossergeselle Leonhard Bethge war gerade 22 Jahre alt, als er bei den Barrikadenkämpfen unter den schwarz-rot-goldenen Fahnen der Märzrevolution 1848 in Berlin fiel, so wie mehr als 200 weitere Mitstreiter. Viele damalige Freiheitskämpfer, darunter der Hanauer August Schärttner, konnten sich nur dadurch retten, dass sie aus ihrer Heimat flüchteten. Ähnlich wie viele Sozialdemokraten, die durch Bismarcks Sozialistengesetze unterdrückt wurden. Sophie Scholl war gerade einmal 21 Jahre alt, als sie wie ihr Bruder und so viele andere unter dem Fallbeil starb, weil sie gegen die NS-Diktatur aufgestanden waren. Peter Fechter wurde nur 18 Jahre alt, als er im Kugelhagel der DDR-Grenzer elendig verblutete – nur weil er in Freiheit leben wollte.
Der Weg Deutschlands zu einem freiheitlichen Rechtsstaat und zur Demokratie ist ein blutiger Weg gewesen. Selbst die am 23. Mai 1949 gegründete Bundesrepublik, der freiheitlichste Staat, den die Deutschen je errichtet haben, ist nicht einfach ein „Geschenk“ gewesen, sondern aus dem Chaos der Tyrannei und des Weltkrieges entstanden. Auch das hat viele Menschenleben gekostet – auf Seiten der Deutschen und auf Seiten der Alliierten, die unser Land vom Nazi-Terror befreit haben.
Niemand von uns hat also das Recht, diese Demokratie und diese Freiheit als eine Selbstverständlichkeit zu betrachten oder leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Demokratie ist ein äußerst sensibles und leicht verletzliches Gut, wie wir in den letzten Jahren etwa in Ungarn oder der Türkei erleben mussten und nun schmerzlich in den USA erfahren. Die Demokratie kann sich durch Wahlen selbst einschränken oder gar abschaffen, wenn die Bürger ihre Stimme leichtfertig den Feinden der Demokratie geben. Der freiheitliche Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann, heißt es dazu in dem berühmten Diktum des Staatsrechtlers Böckenförde.
Die Demokratie kann nur durch ihre Bürger geschützt werden. Gleichgültigkeit ihr gegenüber lässt sie verkümmern. Und der beste Beweis gegen Gleichgültigkeit und das beste Bekenntnis zur Demokratie ist immer noch die Teilnahme an einer Wahl, so wie am morgigen Sonntag. Wer nicht schon per Briefwahl seine Stimme abgegeben hat, sollte deshalb den Gang in die Wahlkabine nicht aus Bequemlichkeit scheuen. In einer Zeit, in der Diktatoren und Oligarchen auf der ganzen Welt bereits den Abgesang auf die freiheitlichen Demokratien propagieren und umsetzen, ist es wichtig, dass die Bürger durch ihre Teilnahme an der Wahl eine klare Botschaft senden. Trotz allem Frust und mancher Verärgerung.
Die bleiben einem auch in einer Demokratie nun einmal nicht erspart. Das werden wir auch am Montag erleben, nicht nur bei den unterschiedlichen Bewertungen der Ergebnisse. Aller Voraussicht nach wird es auch eine Debatte über das von der Ampel umgesetzte neue Wahlrecht geben, dass teilweise von Bundesverfassungsgericht einkassiert wurde. Geblieben ist die Regel, dass es keine Ausgleichsmandate mehr gibt. Das hat zur Folge, dass einem Kandidaten das Bundestagsmandat verweigert werden kann, obwohl er in seinem Wahlkreis direkt gewählt wurde. Wie will man das wohl den Bürgern erklären? Die Forderung, den aus alle Nähten platzenden Bundestag zu verkleinern, ist zweifellos richtig. Die Schwächung des Direktmandates ist aber ein untauglicher Weg. Die einzige vernünftige Lösung den Bundestag zu verkleinern wäre es, die Wahlkreise zu vergrößern, auch wenn das für Einzelne schmerzlich ist.
Dennoch sollte das alles niemanden von der Wahl abhalten. Wählen zu gehen ist eine Ehrenpflicht. Dafür haben viele gekämpft und gelitten. Dieses Grundrecht wirft man nicht einfach weg.

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Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit mehr als 25 Jahren präsent.

FinaleDas war er also, der Schlussakt im 20. Deutschen Bundestag. Das Finale einer Legislaturperiode, die das eigentlich...
15/02/2025

Finale

Das war er also, der Schlussakt im 20. Deutschen Bundestag. Das Finale einer Legislaturperiode, die das eigentliche Finale nicht erreicht hat. Mit seiner letzten offiziellen Sitzung hat das Parlament eine Wahlperiode beendet, die trotz mancher Anfangshoffnungen nicht zu den erfreulichsten gehören dürfte. Der Überfall Russlands auf die Ukraine, die wirtschaftlichen Probleme, der Dauerstreit in der Regierung sowie die Zunahme von Hass und Respektlosigkeit, die sich auch im Parlament widerspiegelte, haben an den Nerven aller gezerrt. Redebeiträge wurden durch lautstarke Zwischenrufe und Schmährufe gestört, mehrfach musste das Präsidium intervenieren und schließlich platzte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas der Kragen, als sie das ganze Theater mit dem Ruf „Wir sind hier nicht auf dem Fußballplatz!“ zu beenden versuchte. Die letzte Sitzung hat gezeigt, dass wir dankbar dafür sein können, dass dieser Wahlkampf recht kurz war. Noch länger wäre das wohl kaum zu ertragen gewesen.
Überraschend waren die Redebeiträge der Kanzlerkandidaten nicht, allenfalls teilweise interessant in den Nuancen. Olaf Scholz selbstüberzeugt wie immer. Ihm wäre zuzutrauen, dass er wirklich glaubt, auch die nächste Regierung als Kanzler anführen zu können, weil er es ja so gut gemacht habe. Friedrich Merz beschrieb das erwartungsgemäß anders, was ihm angesichts der miesen Wirtschaftsdaten nicht schwerfiel. Interessant war, dass er sich vor allem auf Scholz, weniger auf die SPD als Ganzes einschoss. Da sollte offenbar der wahrscheinlich künftige Koalitionspartner nicht noch mehr verärgert werden.
Wenig Rücksicht nahm darauf aber der potenzielle nächste Kanzlerkandidat der SPD, Lars Klingbeil. Seine Rede war aber vermutlich als Beruhigung an die eigenen Genossen gerichtet, da an der Loyalität des Parteivorsitzenden zum aktuellen Kanzler in jüngster Zeit Zweifel aufgekommen waren. Für die eigene Anhängerschaft war offenbar auch der Beitrag von Robert Habeck gedacht, der das bisher kaum eine Rolle spielende Klimathema wieder aufs Tapet brachte. Da wollte er wohl seine Kernwählerschaft umwerben, die er mit seinem 10-Punkte-Migrationsprogramm arg verunsichert hatte. Schließlich noch Alice Weidel, die staatsmännisch und unagressiv wie selten auftrat, was Beobachter als Teil der rechten Strategie der „Selbst-Verharmlosung“ werteten. Kreide scheint derzeit ihr wichtigstes Nahrungsmittel zu sein, an den nationalistischen Inhalten ändert das aber nichts. Also: neue Erkenntnisse gab es nicht.
Zumal klar war, dass auch die letzte Sitzung wohl wenig an den Zustimmungswerten für die einzelnen Parteien ändert. Wie festgetackert erscheinen seit Monaten die Umfragewerte, die geringen Veränderungen, die man ablesen kann, bewegen sich im Bereich der üblichen Fehlertoleranz. Keine Aufholjagd, von der man bei der SPD träumt, kein Durchstarten bei der Union, ein Beharren auf der offensichtlichen Kernklientel bei den Grünen. Selbst bei der AfD bewegt sich nichts, obwohl die sich nach den schrecklichen Attentaten wohl mehr erhofft hätte. Spannend sind derzeit allenfalls die kleinen Parteien, bei denen die Fünf-Prozent-Hürde vor der Tür steht und wo die Linke mit einem bescheidenen, aber doch beachtlichen Aufschwung überrascht.
Die kleinen Parteien sind also das eigentlich Ungewisse bei dieser Wahl. Ohne sie würde es nach den bisherigen Umfrageergebnissen wohl zu einer schwarz-roten, weniger wahrscheinlich zu einer schwarz-grünen Koalition kommen. Gelingen aber BSW und FDP doch noch der Sprung ins Parlament, dann wären beide Optionen nach den bisherigen Zahlen obsolet. Dann müsste wieder eine Dreier-Koalition gebildet werden, was sich wohl die wenigsten wünschen. Zumal es sich ja in Wahrheit um eine Vierer-Koalition handeln würde, da es die CSU immer verstanden hat, ihr eigenes Süppchen zu kochen.
Sei es, wie es sei. Zu hoffen ist – und davon kann man auch ausgehen – dass sich die erhitzten Gemüter wieder abkühlen. Dass sich eine Koalition der Vernunft bildet, die konkret Probleme angeht, realistische Politik an die Stelle von Wunschvorstellungen treten lässt. Eine Koalition der Mitte, die zu Kompromissen fähig ist. Denn eins muss in Deutschland auf jeden Fall verhindert werden: österreichische Verhältnisse. Das wäre dann ein Finale für diese Land, das sich niemand wünschen kann. Das würde dieses Land weiter spalten, der Respektlosigkeit, dem Hass, der Intoleranz und letztlich der Gewalt Tür und Tor öffnen. Und wohin das führt, daran werden gerade wir Hanauer in der nächsten Woche schmerzlich erinnert, wenn sich das Attentat des 19. Februar zum fünften Male jährt.

Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit mehr als 25 Jahren präsent.

Wer?Er ist so leise gegangen, wie er einst gekommen ist. Horst Köhler, einer der im Volk beliebtesten, aber von manchen ...
08/02/2025

Wer?

Er ist so leise gegangen, wie er einst gekommen ist. Horst Köhler, einer der im Volk beliebtesten, aber von manchen Politprofis auch verkanntesten Bundespräsidenten, ist nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Wohl niemand hatte ihn auf dem Schirm, als er von Union und Liberalen 2004 zum Bundespräsidenten vorgeschlagen wurde. Die BILD-Zeitung fasste die Reaktionen damals treffend mit der Titelschlagzeile „Horst wer?“ zusammen. Köhler hatte zwar bis dato wichtige und einflussreiche Positionen inne, ins Rampenlicht hatte er sich aber nie gedrängt.
Für den damals bereits immer elitärer werdenden Berliner Politikbetrieb war der Mann zweifellos eine Zumutung. Kein Parteistratege, kein Machtpolitiker, sondern trotz seiner hohen Ämter irgendwie immer ein Mann des Volkes. Ein Mann mit einem für Berliner Verhältnisse geradezu naiven Patriotismus. Er, der in Flüchtlingslagern Aufgewachsene, wolle diesem Land, das ihm so viele Möglichkeiten eröffnet habe, etwas zurückgeben, erklärte er. Dass er dafür auch noch seinen hochdotierten Posten als Direktor des Weltwährungsfonds aufgab, sorgte ebenfalls für Kopfschütteln.
Köhler wusste aus eigener Lebenserfahrung, was Armut bedeutet. Und er wusste als Vater einer Tochter, die als Jugendliche erblindet war, wie hart das Schicksal zuschlagen konnte. Sein Engagement für die sozial Benachteiligten, für bessere Bildungschancen und für eine den Menschen zugewandte Politik resultierte daraus, auch seine Warnungen vor einem ungezügelten Finanzkapitalismus. Ebenso, wie sein Engagement für die Menschen in Afrika. Früher als andere erkannte er die Risiken aber auch die Chancen des Kontinents, mahnte mehr Unterstützung an und warnte vor den Folgen auch für uns, die eine Vernachlässigung des Kontinents haben könnte. Zu Recht, wie wir heute wissen.
Das Volk erkor ihn in Umfragen immer wieder zum beliebtesten Politiker im Land, mochte ihn für seine klaren Worte und seine Art, wie er lächelnd auf die Menschen zuging, keine elitären Berührungsängste hatte und sich für ihre Sorgen ehrlich interessierte. Er heuchelte keine Volksnähe, er hatte sie. Die Berliner Blase hingegen fremdelte mit diesem Mann, der sich ohne Intrigen und Machtpoker von ganz unten nach ganz oben gearbeitet hatte. Gelegenheit zur Kritik gab sein Amtsverständnis, das im Bundespräsidenten keine Grüßaugust sah und das ihn auch nicht vor Kritik an der aktuellen Politik gleich welcher Couleur zurückschrecken ließ. Und er ging sogar so weit, dass er die Unterschrift unter Gesetze verweigerte, die seiner Meinung nach verfassungswidrig waren.
Erst in der zweiten Amtszeit bot schließlich ein künstlich konstruierter „Skandal“ die Möglichkeit, den Ungeliebten massiv anzugreifen. Beim Rückflug im Mai 2010 nach dem Besuch deutscher Soldaten in Afghanistan hatte er die Notwendigkeit der Verteidigung unserer Freiheit und unserer Werte betont, zu der auch die Freiheit der Handelswege gehöre. Eigentlich nichts Besonderes, entsprach dies doch genau den Aufträgen an die Bundeswehr durch den Bundestag, die EU und die UNO, wozu auch der militärische Einsatz gegen Seepiraten gehörte. Anfangs fand die Bemerkung deshalb auch kaum Beachtung, bis sie von interessierter Seite als Kriegsrhetorik verunglimpft wurde. „Kanonenpolitk“ sei das, wodurch Köhler mit dem politischen Hasardeur Wilhelm II. verglichen wurde. Der Grüne Jürgen Trittin rückte den Präsidenten in die Nähe des bekanntlich durch eine Hirnkrankheit beeinträchtigten Bundespräsidenten Heinrich Lübke. Und viele Leitartikler stellten triumphierend fest, dass Köhler noch nie zum Bundespräsidenten getaugt hatte. Das Blut – wenn auch künstlich erzeugt – war im Wasser, die Haie begannen rasant zu werden.
Der Gescholtene machte jedoch allen einen Strich durch die Rechnung. Er trat einfach zurück, weil er nicht wollte, dass seine Person, seine Familie und auch das Amt durch eine wochenlange Schmutzkampagne beschädigt wurden. Der Außenseiter setzte sich weder im Sandkasten heulend in die Ecke noch wehrte er sich, er verließ einfach das Spielfeld und ließ die Attackierer ratlos und enttäuscht zurück. Dass Köhler danach auf den ihm zustehenden „Ehrensold“, also eine Fortsetzung der Bezüge durch den Bund verzichtete, entsprach seinem Selbstverständnis von Lohn und Arbeit. Dass er, der von der Berliner Politik Geschmähte, von der Weltpolitik wieder gerufen wurde, sprach für seine Kompetenz und Reputation. Im Auftrag der UNO setzte er sich vor allem für Afrika ein, privat gründete er in Deutschland mit seiner Frau eine Stiftung für Menschen mit seltenen Erkrankungen.
Die Frage „Horst wer?“ stellt sich heute nicht mehr. Heute wissen wir, wer Horst Köhler war: Ein hochanständiger Mensch, von denen es in unserem Land, auch in der Politik, viel mehr geben sollte.

AussitzenEigentlich kann man sie ja nicht mehr hören, diese Forderung nach einer umfassenden Aufarbeitung der Corona-Pan...
01/02/2025

Aussitzen

Eigentlich kann man sie ja nicht mehr hören, diese Forderung nach einer umfassenden Aufarbeitung der Corona-Pandemie. Seit Jahren wird darüber in der Politik schwadroniert, passiert ist nichts. In diesen Tagen, am fünften Jahrestag nach Auftreten des ersten Corona-Falles in Deutschland, wurden wieder von den verschiedensten Seiten die Rufe nach einer umfassenden Analyse des Geschehens laut. Aber wie üblich hielt das nicht lange vor. Zumal das schreckliche Attentat von Aschaffenburg und die daraus folgende Auseinandersetzung über die Migrationspolitik schnell die Schlagzeilen beherrschten.
Dabei wäre eine schonungslose und breit aufgestellte Analyse so wichtig. Nicht um Fehler und Entscheider anzuprangern, sondern um aus den gemachten Fehlern zu lernen. Denn die nächste Krisensituation kommt bestimmt, davon ist die Breite der Wissenschaft überzeugt. Betrachtet man die letzten Jahre, haben sich weite Teile der Politik aber für eine beliebte Masche zur Vermeidung unschöner Debatten entschieden: Man löst die Probleme nicht, sondern sitzt sie einfach aus, auf das das Volk müde wird und gleichgültig.
Dass Fehler gemacht wurden, ist mittlerweile unstrittig. Anfangs aus Unwissenheit, später nicht zuletzt auch aus Überheblichkeit vor allem der Exekutive. Die anfangs unter Verschluss gehaltenen, später teilweise geschwärzten und dann doch vollständig ans Licht gekommenen Protokolle des Robert-Koch-Instituts haben gezeigt, wie sich die politisch Verantwortlichen nicht selten wahlweise hinter der Wissenschaft versteckt oder diese ignoriert haben. Die Fehler beim ersten Lockdown lassen sich noch mit Unkenntnis und Unsicherheit entschuldigen, in der Folge wurde wider besseren Wissens gehandelt. Die kleine Boutique trotz größter Sicherheitsvorkehrungen zu schließen, die großen Supermärkte mit ihren Bekleidungsabteilungen aber geöffnet zu halten, war solch eine Fehlentscheidung. Heute ist man sich zudem einig, dass die weitreichende Schließung der Schulen ein eklatanter Fehler war. Ebenso wie der unmenschliche Beschluss, Sterbenden den Kontakt zu den Liebsten zu verwehren.
Massive Fehler, trotz der schon damals geäußerten Bedenken, selbst von Fachleuten. Kritiker wurden verhöhnt oder vorschnell in die Ecke von Verschwörungstheoretikern oder Radikalinskis gedrückt, die die Krise für ihre miesen Zwecke ausnutzten. Beispielhaft mag dafür Professor Hendrik Streeck stehen, der frühzeitig vor den Spätfolgen der Schulschließungen gewarnt oder auf die Untauglichkeit planloser Massentest hingewiesen hatte. Dafür musste sich der weltweit anerkannte Virologe nicht nur Kollegenschelte anhören, sondern wurde aufs Übelste auch von „Medien-Richtern“ wie Jan Böhmermann beschimpft und von Spiegel-Redakteuren maßlos kritisiert. Insofern müssten auch die Medien ihre Rolle überdenken und sich fragen, ob sie nicht allzu kritiklos den Regierenden gefolgt sind.
Ob es zu einer umfassenden Aufarbeitung kommt, ist fraglich. Zwar hat Gesundheitsminister Lauterbach diese zum Jahrestag dringend eingefordert, getan hat er in seiner Regierungszeit dafür allerdings nichts. Auch ansonsten hält sich die streitende Politik eher zurück. Die SPD fordert das merkwürdige Experiment eines Bürgerrates, bei dem per Losverfahren eine zusammengewürfelte Gemeinschaft das Thema behandelt. Folgenlos, wie man mittlerweile aus Erfahrung mit anderen Themen weiß. Wirkmächtiger könnte da schon der von der FDP geforderte parlamentarische Untersuchungsausschuss sein, der zwar kein einheitliches Ergebnis, dafür aber eine breite Diskussion ermöglichen würde. Jedenfalls wenn er öffentlich tagt und eine Anhörung verschiedener Wissenschaftler ermöglicht. Dazu müssten auch Staats- und Verfassungsrechtler gehören, die Übergriffigkeiten der Exekutive beleuchten und vielleicht erklären, wie es möglich war, dass Grundrechte ohne ausreichende Beteiligung der Parlamente so leichtfertig außer Kraft gesetzt werden konnten.
Und vor allem sollten endlich konkrete Folgen aus der Pandemie gezogen werden. Müssen wir, um medizinische Schutzkleidung zu bekommen, wieder bei den Chinesen betteln gehen? Sind wir in der Lage, kurzfristig zum Beispiel eine Maskenproduktion in Gang zu setzen? Haben wir genügend Notlazarette für Krisenfälle? Diese und mehr Fragen müssten eigentlich dringend geklärt werden.
Bleibt als letzte Hoffnung der Virologe Hendrik Streeck. Der bewirbt sich als CDU-Kandidat in Bonn um ein Bundestagsmandat. Die Chancen gewählt zu werden, stehen gut. Vielleicht kann er in Berlin ja was bewegen und mit dem Schluss machen, was wir auch in Sachen Corona überhaupt nicht mehr gebrauchen können: das bräsigen Aussitzen.

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Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit mehr als 25 Jahren präsent.

SkurrilDas war ein Wechselbad der Gefühle, das man da am Fernseher bei der Übertragung der Amtseinführung des neuen US-P...
25/01/2025

Skurril

Das war ein Wechselbad der Gefühle, das man da am Fernseher bei der Übertragung der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten erlebte. Als normaler deutscher Bürger, der kein Spezialist für die innenpolitischen Verhältnisse der USA ist, kam man jedenfalls aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Erstaunen und Erschrecken, Lachen und fast Heulen, Abscheu und Faszination am Absonderlichen – da war alles dabei. Vor allem aber kann man diese Inauguration mit einem Begriff umschreiben: Skurril. Aber auch besorgniserregend, weil man weiß, dass dieser Amtswechsel nicht nur das ferne Amerika, sondern auch uns in Europa, in Deutschland, selbst im Main-Kinzig-Kreis betreffen wird.
Der langatmige und mit Fanfarenstößen angekündigte Aufmarsch der einzelnen VIP-Gruppen mag sich noch aus der Geschichte der USA erklären. Eine recht junge Nation, die aus dem Widerstand gegen die Monarchie, gegen königlichen Pomp gegründet wurde, mag sich an ein wenig Glanz und Gloria erfreuen. Was dann aber folgte, war für den Bürger eines demokratischen Staates, in dem zumindest noch einige Anstandsregeln gelten, unverständlich bis abstoßend.
Teilweise skurril bis grotesk war zweifellos der Auftritt der religiösen Vertreter, die sich – ähnlich wie die Tech-Oligarchen – dem neuen Präsidenten zum Fremdschämen anbiederten. Sie unterstrichen quasi die Überzeugung Trumps, er sei von Gott nicht nur errettet, sondern gesandt worden, um Amerika zu erlösen. Früher hätte man das Blasphemie genannt, in der Rotunde des Capitols wurde es bejubelt.
So wie die Rede des neuen Präsidenten, die jeglichen Anstand und jegliche demokratischen Gepflogenheiten vermissen ließ. Dass bei einer Amtsübernahme die Vorgängerregierung und der Vorgänger im Amt derart beleidigt und beschimpft werden, hat es bisher wohl noch nicht gegeben. Fast schon bewundernswert, mit welch vermeintlich stoischer Gelassenheit Joe Biden diese Beschimpfungen über sich ergehen ließ. Dass es für diese Unverschämtheiten auch noch donnernden Applaus von den Anwesenden gab, muss den Mann, der Jahrzehnte seinem Land treu gedient hat, dennoch tief verletzt haben.
Im Grunde hat Trump hier seinen Wahlkampf fortgesetzt und statt zu versöhnen noch mehr gespalten. Da war alles drin, von Panama bis zur Beschimpfung von Migranten, von einer narzisstischen Selbstüberhöhung bis zur Ankündigung eines „goldenen Zeitalters“. Das hatte er übrigens schon zu Beginn seiner ersten Amtszeit versprochen – und nicht eingehalten. Dass er später vor seinen Anhängern im Beisein freigelassener israelischer Terroropfer die Gewalttäter der Capitol-Erstürmung als „Geiseln“ bezeichnete und noch am selben Tag ihre Begnadigung aussprach, war abscheulich. Es zeigte nochmal, wes Geistes Kind er ist und wie sehr er die Demokratie und ihre Institutionen verachtet.
Aber egal – auch wir werden mit diesem neuen Präsidenten umgehen müssen. Der sich abzeichnende Handelskrieg wird besonders eine Exportnation wie Deutschland treffen, auch eine so exportorientierte Wirtschaft wie in Hanau und dem Main-Kinzig-Kreis. Und das zu einer Zeit, in der die Aussichten für unsere heimische Wirtschaft alles andere als rosig sind, wie kürzlich noch einmal im Interview in der GNZ/Hanauer Bote mit dem IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Quidde deutlich wurde. Konsequenz der Trump-Attacken kann deshalb nur eine Wirtschaftspolitik sein, die realistisch und resilient ist und die – zum Beispiel durch Abbau von irrwitziger Bürokratie – den Unternehmen wieder Luft zum Atmen gibt. Und auch wenn sich einige nationalistisch gesinnte Politiker wie Orban und Meloni bereits an den neuen Präsidenten heranwanzen, können wir nur bestehen, wenn Europa zusammenrückt und sich seiner Marktmacht bewusst wird.
Wir sollten uns auch im eigenen Interesse die Frage stellen, wie solch ein Mann eine Wahl gewinnen konnte. Welche Verantwortung dafür zum Beispiel eine elitäre Minderheit hat, die der Mehrheit ihren Sprachduktus aufzwingen will und sie pauschal wahlweise als Rassisten oder Faschisten beschimpft. Die sich um zum Teil selbst erfundene Probleme einzelner Gruppen kümmert, die Probleme der Mehrheit aber außer Acht lässt. Die Wut, aus der heraus das Wahlergebnis entstanden ist, hat ihre Ursachen. Das solle uns auch für unser Land zu denken geben.
P.S. Manch einer mag hier einen Zwischenrufer zu dem schrecklichen Attentat in unserer Nachbarstadt Aschaffenburg erwartet haben. Aber was soll man da noch sagen und schreiben? Im Grunde könnte man hier die Zeilen wiederholen, die bereits zum Attentat in Magdeburg geschrieben wurden. Über Behördenversagen, über rhetorische Rituale oder das Instrumentalisieren der Tat für parteipolitische Zwecke. Aber eigentlich bleibt jetzt nur eins: Trauer und sprachloses Entsetzen.

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Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit mehr als 25 Jahren präsent.

HU-BERUnd wieder einmal hat Hanau für Bomben-Schlagzeilen gesorgt. Erneut wurde in der Stadt ein Blindgänger aus dem Zwe...
18/01/2025

HU-BER

Und wieder einmal hat Hanau für Bomben-Schlagzeilen gesorgt. Erneut wurde in der Stadt ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Die massiven Luftangriffe in der Kriegszeit und die massive Bautätigkeit in der Stadt heutzutage (was ja erfreulich ist) fördern nun einmal diese explosiven Altlasten zu Tage. Diesmal wurde eine Fünf-Zentner-Bombe auf der Baustelle der Hauptbahnhofsbrücke entdeckt. Für die Brüder-Grimm-Stadt fast schon so etwas wie Routine. Mehr als 3.000 Menschen evakuiert, der Bahnverkehr eingestellt und das eingespielte Team des Bombenräumdienstes im Einsatz. Nach wenigen Stunden konnte das Leben weitergehen. Nicht zuletzt dank eines routinierten Entschärfungskommandos, dessen Arbeit alles andere als Routine ist. Glücklicherweise ist das so und glücklicherweise sind auch Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte höchst professionell und die betroffenen Bürgerinnen und Bürger gelassen und verständnisvoll.
Glücklich können sich die Hanauer aber auch schätzen, dass bei der Berichterstattung im Fernsehen die betroffenen Menschen und die Baustelle am Bahnhof im Mittelpunkt standen, aber nicht der Hauptbahnhof selbst. Um das Gebäude machten die Kameras dankenswerterweise einen großen Bogen, so dass den Zuschauern eine einzigartige Kombination aus Not, Elend und verzweifelter Hoffnung erspart blieb. Hanaus Hauptbahnhofs-Gebäude, ohnehin ein Nachkriegsbau von minderer Schönheit, ist seit Jahren abgewirtschaftet und inzwischen zur Dauer-Baustelle verkommen. Zwar hat die Bahn nach vielen Jahren des Stillstands endlich mit Sanierungsmaßnahmen begonnen, allerdings kommt sie nur im Schneckentempo voran.
Der Neubau der maroden Bahnsteige 102/103 sowie 104/106 hat hier zumindest endlich einen barrierefreien Zugang gebracht, der am stark frequentierten Bahnsteig 5/6 nach wie vor schmerzlich vermisst wird. Abhilfe soll hier laut Bahn mit den Baumaßnahmen zur nordmainischen S-Bahn geschaffen werden. Was ein Aufzug mit der seit mehr als 40 (!) Jahren geplanten Strecke zu tun hat, bleibt jedoch ein Rätsel.
Allerdings wurden die neuen Aufzüge nach kurzer Zeit schon wieder wochenlang außer Betrieb gesetzt wegen der schleppenden Sanierung des Bahnhofstunnels. Bei dem weiß man auch nach Monaten nicht, was denn schon neu und was noch alt ist. Der „neue“ Belag grau und verdeckt und mit notdürftig geflickten Schlaglöchern, die Wände eine wilde Mischung aus neuen Kacheln, alter Verkleidung und rohem Putz. An den Seiten lehnen die Absperrgitter, Arbeiter sieht man eher selten. Nicht in den Griff bekommt die Bahn offensichtlich auch die Taubenplage. Vor allem am Wochenende ist Hanaus Hauptbahnhof im wahrsten Sinn des Wortes wirklich ein besch… Bahnhof.
In der Hauptstadt machte man sich jahrelang lustig oder empörte sich über das Desaster und die Verzögerungen beim Bau des neuen Flughafens BER. Da kann Hanau inzwischen mithalten. Unser Flughafen-Flop ist der Hauptbahnhof, sozusagen ein HU-BER.
Wer den Gegenentwurf sehen will, sollte ein paar Kilometer weiter nach Aschaffenburg fahren. Die Stadt, erheblich kleiner als die Brüder-Grimm-Stadt und kein so bedeutender Bahnknotenpunkt wie Hanau, glänzt mit einem hochmodernen Bahnhofs- und glitzerndem Einkaufspalast. Da merkt man die jahrelange Vorherrschaft bayerischer Bundesverkehrsminister!
Vor einiger Zeit ging das Video eines Influencers viral, in dem er Hanau als den hässlichsten Bahnhof Deutschlands beschrieb. Das ist natürlich Blödsinn. Offensichtlich kennt er Bahnhöfe wie zum Beispiel Offenbach, Delmenhorst oder den völlig verbauten „modernen“ Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe nicht. Außerdem bewegte sich die Kritik – wie so oft bei Influencern – nur an der Oberfläche. Die ungewöhnliche Nummerierung der Gleise, die historisch bedingt ist und auch mit den sinnvollen Durchfahrtgleisen zu tun hat, ist nun wirklich das geringste Problem der Bahnhofsnutzer.
Und die Stadt selbst? Die versucht seit Jahren, die Bahn zum Handeln zu bewegen. Sogar die Stadtkasse musste herhalten, um die Bahn überhaupt aus dem Tiefschlaf zu reißen. Mit großem Engagement und Volldampf entwickelt die Stadt zudem das ganze Umfeld vom Bahnhof bis zur Ehrensäule. In der Hoffnung, dass sich irgendwann auch mal der Bahnhof in einen vernünftigen Zustand präsentiert. Zuversicht mag angesichts der traurigen Situation noch nicht aufkommen. Bisher reicht es eben nur zur Hoffnung bei unserem HU-BER.

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Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit mehr als 25 Jahren präsent.

Folgenlos„Same procedure as every year“ heißt es nicht nur beim TV-Klassiker zum Jahreswechsel, sondern offenbar auch au...
11/01/2025

Folgenlos

„Same procedure as every year“ heißt es nicht nur beim TV-Klassiker zum Jahreswechsel, sondern offenbar auch auf unseren Straßen. Wie in den vergangenen Jahren haben auch diesmal wieder durchgeknallte Hirnis Silvesterraketen auf Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte gefeuert. Nicht nur in den Millionenstädten, sondern diesmal sogar in Hanau. Es ist unerträglich, dass das Leben derjenigen, die Leben retten und schützen sollen, bedroht und geschädigt wird.
Und die Reaktionen auf das Desaster sind in der entscheidenden Bundespolitik auch immer die gleichen. Abscheu und Empörung, danach die Rufe nach schärferen Gesetzen und dann – wenn sich der Böllerdampf verzogen hat – Rückkehr zum Alltag. Mag sein, dass die Debatte diesmal noch etwas anhält, schließlich haben wir Wahlkampf. Aber folgenlos wird sie wohl dennoch sein.
Was bleibt, sind die erschreckenden Bilder und die vielen Fragen, die man sich unwillkürlich stellt. Was bitte schön sucht ein palästinensischer „Tourist“ in Deutschland, der eine Rakete in eine Berliner Wohnung feuert, das Ganze filmt und das Video dann stolz ins Netz stellt? Und sich dann auch noch über die Polizei beschwert, die ihn festnimmt, zumal er sich doch schon beim Wohnungsinhaber entschuldigt und die Sache „zwischen Araber und Araber“ geregelt habe. Ganz im Geiste des randalierenden Teenagers, der in gebrochenem Deutsch in die Kamera schreit, dass in Neukölln keine Gesetze gelten und das Recht nur von ihm und seinen Spießgesellen ausgeübt werde.
Die Empörung über diese Taten ist gerechtfertigt, die Rufe nach schärferen Gesetzen wohlfeil. Nicht die Strafen sind das Problem, sondern die mangelnde Strafverfolgung. Die meisten der ermittelten Straftäter würden wegen der dramatischen Überlastung der Justiz nie vor Gericht erscheinen, weiß etwa der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, aus Erfahrung. Und für die chronische Unterbesetzung der Justiz ist nicht der Staat als Gesetzgeber, sondern der Staat als Arbeitgeber verantwortlich. Aber darüber wird nur ungern gesprochen.
Und es gibt ein weiteres Thema, dass weder in den Medien noch in der Politik groß thematisiert wird. Der migrantische Hintergrund, der bei den meisten Tätern konstatiert werden muss. Junge Männer, die in einer patriarchalischen Kultur aufgewachsen sind, keine Empathie gegenüber den Mitmenschen zeigen und keinerlei Respekt vor dem Rechtsstaat und seinen Organen haben. Dumpfbacken, die in wildem Macho-Gehabe Raketen aus der Hand abfeuern und sich dann, wenn sie dabei verletzt werden, in der überfüllten Notaufnahme beschweren, falls ihre Wehwehchen nicht sofort behandelt werden. Der zumeist migrantische Hintergrund der Täter sei ein Tabu, über das niemand reden wolle, meint etwa die Migrationsexpertin Prof. Susanne Schröter. Vermutlich, weil man die falsche Angst habe, damit Wasser auf die Mühlen der rechten Populisten zu leiten. Dabei sollte inzwischen jeder wissen, dass nicht das Benennen offensichtlicher Probleme, sondern vielmehr das Verschweigen derselben die Mühlen der Extremen antreibt.
Weder löst das Schweigen noch etwa ein generelles Feuerwerksverbot die Probleme – wenn man allein an die illegalen Böller denkt, die das Land überschwemmen. Auch pure Wut, die von den Extremen angefacht wird, hilft bekanntlich in der Politik überhaupt nicht. Helfen kann nur eine realistische und tabulose Analyse der Probleme und eine klare Ansage an die Täter. Wer für den kurzen „Spaß“ an Sylvester mal einige Monate gesiebte Luft atmen darf, dürfte sich eine Wiederholung wohl überlegen. Wenn die verabscheuungswürdigen Straftaten aber keine Folgen für die Täter haben, dann bleibt auch das aktuelle Desaster folgenlos.
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Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit mehr als 25 Jahren präsent.

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