25/03/2020
Wir bieten hier mal tiefergehende Informationen zum Umgang mit der Angst vor der Corona-Pandemie. Lang, aber es lohnt sich, das zu lesen. Bei Fragen stehen wir gern zur Verfügung.
Persönliche Herausforderungen in der Corona – Zeit meistern
Für viele von uns hat sich der Alltag enorm verändert, sei es durch die Arbeit im Homeoffice, die ungewohnt stetige Präsenz der Kinder zuhause, die Enge in kleinen Wohnungen, soziale Isolation uvm.
Dazu kommen die Sorgen, wie es beruflich und/oder finanziell weitergehen soll und die Angst, ggf. sogar selber am Coronavirus (COVID-19) zu erkranken und der ungewisse Verlauf bei einer erfolgten Infektion mit dem Virus.
All das kann zu großen Ängsten führen, die uns im schlimmsten Fall so vereinnahmen können, dass wir nicht mehr handlungsfähig sind, psychisch oder physisch krank werden!
Dass diese Angst aufkommt ist verständlich, weil wir alle das Bedürfnis nach Sicherheit, Vertrauen und Kontrolle haben, das uns scheinbar verloren gegangen ist.
Diese Angst ist nichts Schlimmes, sie braucht ihren Raum und soll auch gefühlt werden, um sich dann wieder auflösen zu können, um sich nicht im Körper oder in der Psyche zu manifestieren. Vielleicht haben wir ja einen Partner oder Freunde, denen wir unsere Angst anvertrauen können, die mit uns mitfühlen und uns zur Seite stehen. Oder wir wenden uns telefonisch an eine Beratungs- oder Seelsorgestelle um nicht alleine mit unserer Angst zu bleiben.
Auf die äußeren Umstände, sprich der spürbaren Existenz des sich verbreitenden Virus haben wir keinen Einfluss, worauf wir aber Einfluss haben, ist diese schwierige Zeit so zu gestalten, dass wir uns möglichst wohlfühlen, denn das stärkt unsere Gesundheit nachhaltig und lässt uns langfristig resillienter werden! Denn Resillienz (psychische Widerstandskraft) ist erlernbar!
Hilfreich ist zu verstehen, welche Mechanismen jeder von uns innehat und wie wir sie zugunsten unseres Wohlbefindens beeinflussen können.
Wir verfügen über zwei Motivationssysteme – das Annäherungssystem und das Abwendungssystem:
Beide Strategien bestimmen maßgeblich unser Verhalten
und dienen dem gemeinsamen Ziel – unserem Leben und unserer gesunden Entwicklung
„Wer weiß, wohin er will, kann viele Hindernisse überwinden.“
Und ebenso:
„Wer weiß, wie er viele Hindernisse vermeiden bzw. überwinden kann, kann sich seinem Ziel leichter annähern.“
Zwischen Abwenden und Annähern kann es offenbar eine aufbauende Rückkopplung geben. Allerdings gibt es auch oft weitreichende gegenseitige Hemmungen, wenn man sich aus ängstlicher Vorsicht heraus nicht traut, sich seinem ersehnten Ziel anzunähern.
Das Neuropsychologische Annäherungssystem
Wenn uns etwas gefällt, z.B. eine schöne Frau oder ein schöner Mann, wird im Gehirn das Annäherungssystem aktiviert. Dieses ist eng mit dem Lustzentrum verbunden. Hier werden Lustbotenstoffe ausgeschüttet, insbesondere Dopamin, das uns zu mehr Aktivität anregt, auch wenn unser Annäherungsziel in weiter Ferne ist. Jeder Schritt in Richtung Annäherung an unser Ziel macht uns Lust – selbst wenn es nur in unserer Vorstellung erscheint. So bereitet uns die Vorstellung eines attraktiven Partners schon Lust.
Unser Annäherungssystem kann durch alle stimmig attraktiven Ziele oder Orientierungen, die wir als aufbauend erleben, wie z.B. Liebe oder ein starker Wille, angeregt werden. Wenn das Annäherungssystem aktiv ist, sind wir also im lustvollen Annäherungsmodus. Die Lust wird immer stärker, je mehr ich mich meinem Ziel annähere. Hirnforscher haben herausgefunden, dass das Annäherungssystem am stärksten aktiv ist, wenn wir Probleme lösen. Also eine Unstimmigkeit in Stimmigkeit verwandeln.
Das Abwendungssystem - auch Vermeidungssystem genannt -
Das Abwendungssystem hat uns im Laufe der Evolution geholfen, Gefahren immer frühzeitiger zu erkennen und zu meiden, ihnen zu entfliehen, uns zu schützen oder Gefahren zu bekämpfen. Es wird durch alles aktiviert, was wir als Stress identifizieren. Dazu gehören bspw. unangenehme und Angst auslösende Erfahrungen, Missempfindungen wie Kälte, Hitze, schlechte Luft, Druck, Bedrohungen, Zurückweisungen, Frustration, Schmerzen, u.v.m.
Neurophysiologisch ist das Abwendungssystem eng mit dem sogenannten Mandelkern verbunden, der die Angstreaktionen steuert. In diesem Modus wird die Aufmerksamkeit nach außen gerichtet, der gesamte Körper geht auf Habachtstellung. Mögliche Gefahrenquellen können so schnell erkannt werden. Das sympathische Nervensystem ist aktiv und bewirkt, dass Stresshormone wie Adrenalin ausgeschüttet werden. In akuter Bedrohungssituation sind wir bereit zu flüchten, zu kämpfen oder uns Tot zu stellen. Bei länger anhaltender Gefahr suchen wir nach Auswegen.
Wenn wir uns aber ständig im Abwendungsmodus befinden, sind wir ständig in Angst und Stress. Unsere Aufmerksamkeit liegt ständig im Außen, was uns viel Energie raubt. In diesem Modus können wir nie zu dem Gefühl gelangen, in unserer Mitte angekommen zu sein. Haben wir etwas bekämpft, schauen wir im Außen, ob die nächste Gefahr schon irgendwo lauert. Wir führen dann ein Leben wie in ständiger Bedrohung.
Es gelingt nicht das Abwendungssystem kognitiv zu bekämpfen, denn dann bleibt es aktiv und wendet sich schlimmsten Falls gegen einen selbst. Ursprünglich hat jedes Abwehrverhalten einen als bedrohlich erlebten Kontext, in dem es entstanden ist. Deshalb ist es angebracht, das Entstehen von Abwendungsgefühlen zu verstehen und wertzuschätzen, ggf. mit professioneller Unterstützung, da sie ursprünglich einmal ihren Sinn hatten, heute jedoch oft nicht mehr notwendig wären.
Wie erkenne ich, dass ich mich in einem starken Abwendungsmodus befinde?
Es kann dann sein, dass wir morgens schon überlegen, was wir an dem Tag alles abwenden möchten:
Das Frühstück muss schnell gehen, der Berufsverkehr zur Arbeit ist nervtötend, die Kälte macht mich verrückt, der Stress mit dem Chef oder den Kollegen ist unmöglich, das Essen schlecht, das Corona-Virus tödlich, finanzielle Hilfen bekomme ich sowieso nicht, die Kinder nerven, die Langeweile bringt mich um usw.
Sollten wir solche Gefühle haben, könnten wir einfach im Bett bleiben und die Situationen vermeiden, lösen können wir sie dadurch jedoch nicht, und wenn wir uns dann auch noch bewusst machen, dass die meisten Menschen im Bett sterben, haben wir ein Problem.
Das was hilft ist paradoxerweise das Wertschätzen des Abwendungsmodus, denn er hilft uns, sicher zu leben und Unstimmigkeiten zu erkennen. Im nächsten Schritt geht es darum, sich attraktiven Zielen anzunähern. Und wenn sie erstmal nur in der Fantasie geschehen.
Wenn uns nicht gleich etwas einfällt, dann fällt unserem Körper vielleicht etwas ein, was ihm Wohlgefühl bereitet. Vielleicht ein heißes Bad oder eine heiße Dusche. Wir müssen es nur zulassen. Wenn es uns gelingt, wieder in die Annäherung, ins Wohlbefinden zu kommen, wird es sich gleich viel besser anfühlen. Wir können das Frühstück genießen, den Berufsverkehr gut aushalten und sich vielleicht daran erfreuen, wenn wir zügig durch die Nutzung eines Schleichweges zur Arbeit gekommen sind, freundlich auf nette Kollegen zugehen und die unsympathischen erfolgreich umgehen. Wir können uns vor dem Corona-Virus mit Vorsicht und Bedacht - durch Einhaltung der vorgegebenen Maßnahmen - so gut es geht schützen und die Informationsflut zu diesem Thema begrenzen. Wir können vielleicht auch die Chancen in der Krise erkennen, z.B. nun geschenkte Zeit für uns in der Quarantäne zu haben oder endlich mehr Zeit mit den Kindern verbringen zu können, uns der Wichtigkeit unserer Freundschaften bewusst zu werden, uvm.
Wenn wir es geschafft haben aus dem Abwendungsmodus in die Annäherung zu kommen, wissen wir, dass wir selbstwirksam agieren können und nicht in der Situation ausgeliefert zurückbleiben müssen. Die Anstrengungen haben sich gelohnt und sei es, um für die kommenden Krisen daraus zu lernen.
Bleibt gesund!
Diane Heckert