04/09/2024
Zug der Liebe statt Rave the Planet: (M)eine bewusste Entscheidung (Ezekiel)
Eine Liebeserklärung an die Liebe
Mehrfach hatte ich es in den vergangenen Jahren geplant, in diesem Jahr war es endlich soweit: Nach meinem ersten Zug der Liebe im Juli 2015 hatte ich dieses Jahr endlich wieder die Gelegenheit daran teilzunehmen.
Es war eine bewusste Entscheidung. Ich habe mich in diesem Jahr für den Zug der Liebe entschieden und gegen Rave the Planet. Sowohl für mich als Privatperson als auch als Label-Boss von Sentiment Techno, der durchaus kommerzielle Interessen verfolgt.
In diesem Jahr standen mehrere Themen im Fokus. Neben der Liebe und Nächstenliebe war auch die strukturelle Vernichtung von Clubs ein zentrales Thema. Diese Clubs (About Blank, Else, Club Ost, Oxi und Void) sollen für einen unnötigen Ausbau des Stadtautobahnnetzes weichen.
In diesem Text versuche ich meine Eindrücke zu teilen und meine Entscheidung zu reflektieren, warum ich die fast 500 Kilometer lange Reise von Köln nach Berlin für den Zug der Liebe auf mich genommen habe.
Meine Eindrücke vom Zug der Liebe 2024
Sammelpunkt am Mauerpark
Der "Zug der Liebe" 2024 begann am Mauerpark, wo auch bereits 2019 einmal der Start der Demonstration war. Der Park ist ja auch in Berlin bereits als Sammelpunkt vieler Demonstrationen und Ort kulturelle Veranstaltungen etabliert. Obwohl das Event offiziell um 13:00 Uhr starten sollte, kammen die ersten Wagen erst gegen 14:00 Uhr in Bewegung. Zu diesem Zeitpunkt war die Menschenmenge noch sehr überschaubar. Während des Wegs schlossen sich jedoch nach und nach immer mehr Menschen der Demonstration an.
Die Wagen und improvisierten Sound-Systeme
Die Wagen des Zuges waren größtenteils normale 7,5-Tonner. Halt Pritschen-LKWs, die man auch beim Verleih um die Ecke bekommen könnte. Von Hand mit ein paar Bannern und improvisiertem Materialien dekoriert und mehr oder weniger professionellen Sound-Systemen ausgestattet. Nicht diese ultra-chicen, teuren professionellen Parade Truck Floats.
Am Rande der Strecke gab es zudem ein paar "inoffizielle Gruppen". Gruppen ohne Anmeldung und ohne LKW, dafür mit Boxen auf Fahrradanhängern oder Sound-Systemen als Rucksack auf dem Rücken. Irgendwie verlieh das dem Zug eine zusätzliche unkonventionelle, kreative und improvisierte Note.
Die Wegstrecke: Eine Herausforderung
Das Wetter spielte an diesem Tag perfekt mit: Es war weder zu heiß noch zu kalt, was die grob sieben Stunden unterwegs erträglicher machte. Die Strecke war ziemlich fordernd – am Ende zeigte mein Schrittzähler fast 31 Kilometer an, die wir am Ende zurückgelegt hatten. Den Teilnehmern war durchaus anzumerken, dass es denjenigen, die von Anfang dabei waren, einiges abverlangte. Doch stabiles mildes Wetter, die positive Vibes und die musikalische Begleitung machten die Anstrengung erträglich.
Das große Problem mit der Lautstärke
Auffällig war, dass es bei fast allen Wagen immer wieder Probleme mit der Lautstärke gab. Aus meiner Wahrnehmung heraus gab es hierbei oft ein Wechselbad aus technischen Problemen und Maßnahmen zur Einhaltung der Lautstärkenvorgaben. Waren DJ zu Laut sah man oft hektischen Debatten zwischen den DJs und den Technikern und gelegentlich der Polizei. Die Polizisten schienen aber auch in diesen Situationen überraschend freundlich und verständnisvoll. Es ist halt auch schwer den maximal erlaubten Wert von 90 Dezibel einzuhalten. Der Wert entspricht übrigens etwa der Lautstärke eines schweren Lkw oder eines Motorrads. Etwas irritierend, dass die Musik behördlich nicht lauter sein durfte als der LKW auf dem die Anlage aufgebaut ist. Daneben gab es jedoch immer wieder auch Momente bei denen Trucks gefühlt nicht einmal Zimmerlautstärke erreichten. Einer der Punkte, an denen man merkte, dass es sich bei den LKWs um Laien-Projekte mit Liebe statt um professionell durchgestylte Wagen handelte.
Bunte und diverse Gemeinschaft
Den "Zug der Liebe" zeichnete besonders die Diversität der Teilnehmer aus. Menschen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen liefen mit, tanzten und demonstrierten gemeinsam. Es spielte keine Rolle, ob jemand hetero, schwul oder anders orientiert war – genauso wenig wie das Alter, der soziale Status oder die finanzielle Situation. Diese Vielfalt spiegelte den Geist der Demonstration für Toleranz, Offenheit und Zusammenhalt wider.
Ein Aspekt, der den Zug der Liebe von beispielsweise Rave the Planet unterscheidet: Die meisten Teilnehmer waren Berliner oder aus der näheren Umgebung. Es waren Menschen, die bewusst in erster Linie wegen des Mottos und nicht wegen der Party da waren.
Es ging hier halt nicht um spektakuläre Inszenierungen, sondern um ein echtes Miteinander in einer bunten, offenen Gemeinschaft. Das gibt dem Zug der Liebe den authentischen und intimen Vibe. Etwas, das bei so manch anderer "Demonstration" schnell fehlt.
Das Ende des Zuges
Gegen 20:30 Uhr erreichten wir schließlich den Endpunkt des Zuges. Die Wagen spielten noch eine letzte halbe Stunde Musik, bevor pünktlich um 21:00 Uhr die Anlagen ausgeschaltet wurden. Die Endansprache markierte den offiziellen Abschluss der Demonstration. Zeitgleich began im Ritter Butzke die offizielle Afterparty.
Fazit - Ein Gefühl der Richtigkeit
Es hat sich einfach richtig angefühlt, zum Zug der Liebe zu fahren. Diese Entscheidung war nicht nur eine Frage der persönlichen Vorliebe, sondern auch mein Statement für den Erhalt von Veranstaltungen, die jenseits des kommerziellen Mainstreams existieren!
Underground-Angebote wie der Zug der Liebe sind wichtiger denn je! Sie tragen dazu bei, dass die eigentliche Botschaft elektronischer Musik von Liebe, Zusammenhalt und Toleranz weiterhin gehört wird. Diese Botschaft ist das Fundament der gesamten Szene der elektronischen Musik. Nur so wird sichergestellt, dass der Underground nicht komplett vom Kommerz der Szene verdrängt wird.
Ein Ort des Wohlfühlens
Während der gesamten Veranstaltung fühlte ich mich wohl und gut aufgehoben. Es gab keine normschönen Vortänzer. Diese Menschen, die oft das Bild der kommerziellen Paraden dominieren und das Gefühl einer Mehrklassengesellschaft im Techno vermitteln. Beim Zug der Liebe war es aus meiner Wahrnehmung gefühlt anders: Die Teilnehmer wussten, worum es bei der Demonstration ging. Das schuf eine einzigartige, inklusive Atmosphäre, die frei von elitärer Abgrenzung war.
Rave the Planet vs. Zug der Liebe?!
Rave the Planet hat zweifellos seine Daseinsberechtigung und spielt auch eine wichtige Rolle innerhalb der Techno-Kultur. Es verkörpert ein Lebensgefühl, das an anderen emotionalen Punkten anknüpft als der Zug der Liebe. Rave the Planet feiert den Hedonismus und die Freude am gemeinsamen Feiern. Für viele Teilnehmer eine legitime und wichtige Form des Ausdrucks. Es ist ein Event, das die Menschen verbindet und ihnen Raum gibt, sich frei auszuleben.
Wer den Fokus auf das Demonstrieren und die Botschaft legt, wird sich eher für den Zug der Liebe entscheiden. Hier steht die soziale und politische Aussage "Liebe" klar im Vordergrund. Die Veranstaltung bleibt der ursprünglichen Idee einer Demonstration treu. Beide Events haben ihren Platz. Sie sprechen unterschiedliche Bedürfnisse, Emotione und Motivationen an – und das ist völlig in Ordnung. Das eine ist halt eher eine Parade, das andere eine Demonstration. Jeder sollte die Freiheit haben, das Event zu wählen, das seinem eigenen Lebensgefühl am besten entspricht.
Wir sehen uns dann 2025
Wenn der Zug der Liebe 2025 wieder ruft, werde ich es erneut hören und mich auf den Weg machen. Die diesjährige Erfahrung hat mich darin bestärkt, dass es sich lohnt, für solche Events einzustehen und sie zu unterstützen. Der Zug der Liebe ist mehr als nur eine Parade – er ist ein Symbol für das, was in der Techno-Szene wirklich zählen.