25/12/2024
Bernauer Weihnachtsgeschichte
Vor vielen hundert Jahren lebte im Bernauer Stadtwald, wo die Bäume am dichtesten standen und das Gebüsch fast undurchdringlich war, eine alte Hexe in ihrem uralten, halb zerfallenen Häuschen. Die Bewohner der Stadt mieden diese Gegend, wenn sie zum Holzlesen oder Pilzsammeln in den Wald zogen, und machten einen weiten Bogen um die Hütte. In der Stadt wurde erzählt, dass die Hexe zaubern könne und wer sie ansehe, den treffe in der nächsten Zeit ein Unglück, Feuersbrunst, Krankheit oder der Tod. Alte Bernauer erinnern sich, dass die Hexe schon immer dort gewohnt habe und man sagte, dass selbst der Tod ihre Nähe mied und sie deshalb nicht sterben konnte. Ab und zu kam die alte Frau in die Stadt und alle Kinder rannten fort und versteckten sich und die Bauern zeichneten mit Kreide große Kreuze an den Stallungen damit der Hexenblick dem Vieh nicht schadete.
In der Hohen Stein Straße, dem ältesten Teil unserer Stadt, wohnte in einer einfachen Tagelöhner Hütte bescheiden eine kleine Familie. Der Vater kümmerte sich nicht um Frau und Kind, sondern vertrank sein Geld im Wirtshaus. Wenn er dann betrunken nach Hause kam, schrie und tobte er und schlug die Frau und auch das Kind, welches ein schönes junges Mädchen war. Er hatte die Wirtschaft schon so weit heruntergebracht, dass die Hütte schon halb zerfallen war und der Wind durch das schadhafte Dach fegte und keine Krume Brot war mehr im Haus.
Eines Jahres kam nun wieder das Weihnachtsfest heran, und während alle anderen Kinder in der Stadt sich auf den Heiligen Abend freuten, hörte das Mädchen nur böse Worte ihres betrunkenen Vaters. Sie war durch diese Worte so verzweifelt und lief am Morgen des Heiligen Abends in den finsteren Stadtwald, um den Tod zu suchen. Das Mädchen irrte in dem verschneiten dichten Wald umher und selbst die Rehe fragten sich, was denn ein Mensch am Heiligen Abend im Wald zu suchen hatte. Da hörte das Mädchen in der Ferne ein leises Rufen und Jammern. Sie ging der Stimme nach und fand eine alte Frau, die in den Schnee gefallen war und nicht mehr aufstehen konnte. Doch das Mädchen erschrak sich, als es beim genauen Hinsehen die alte Hexe erkannte. Doch das Erbarmen in ihrem Herzen siegte und sie stützte die Alte und führte sie in ihre Hütte. Dort angekommen, bedeutete die Alte dem Mädchen sich zu setzen und fing an zu erzählen. Mit verwunderten Augen hörte das Mädchen die Geschichte der Alten. Sie war einst ein reiches Schlossfräulein und den Mann, den sie liebte, der wollte sie nicht. Aus Eifersucht erwachte in ihr ein teuflischer Plan. Sie lockte den Burschen auf ihren Besitz und gab ihm vergiftete Speisen zu essen, so dass er starb. Zur Strafe wurde sie in eine alte Hexe verwandelt, die in der einsamen Hütte des Stadtwaldes hauste. Erst wenn ein schönes Mädchen sich ihrer erbarmte, sollte die Hexe Erlösung finden.
Als die Hexe das alles dem jungen Mädchen erzählte, wurde ihr auf einmal so merkwürdig zumute und schlief ein. Die Augen fielen zu und sie erwachte erst, als sie laute Stimmen um sich hörte. Sie erkannte den Vater, der vor ihr kniete, und die weinende Mutter. Beide bemühten sich, dem Mädchen die steif gewordenen Glieder durch Reiben zu erwärmen. Auch der Pfarrer war dabei und es musste schon spät sein, denn die Leute hatten Laternen dabei, um die im Stadtwald Verirrte zu suchen.
Von der Hexe und der Hütte war aber nichts mehr zu sehen. Als das Mädchen wieder ganz zu sich gekommen war, fielen ihr die letzten Worte der alten Frau ein, die es sehr eindringlich gesprochen, zu ihr gesagt hatte, bevor sie in den Schlaf fiel.
Wenn du die Augen aufschlägst, dann richte deinen Blick auf den kleinen verschneiten Mooshügel zwischen einer Erle und einer Birke vor dir. Du wirst dort eine Blume trotz Winter Eis und Schnee finden, die gerade erblüht ist. Die Menschen nennen sie Christrose, weil sie um die Weihnachtszeit ihren Kelch öffnet. Pflücke sie. Damit trage ich eine Dankesschuld ab, denn du brachtest mir Erlösung von qualvoller langer Erdenwanderung. Die Blume wird dir Glück bringen. Das Mädchen erhob sich und ging auf die Stelle zu. Da sah sie die Christrose und pflückte sie. Auf einmal waren alle erstaunt, wie sich die Blüten in der Hand des Mädchens verwandelten. Die Blütenblätter schimmerten wie feines Silber und die Staubfäden im Inneren wie im Demantschein. Der Pfarrer machte aus Angst, weil er glaubte, es sei ein Hexenspuk, das Zeichen des Kreuzes über die Blume und das Mädchen. Aber nur reiner und herrlicher erstrahlte die Blüte. Da begriffen alle, dass hier keine böse Macht am Werke war und unter Jubelrufen zogen die Leute in die Stadt zurück, wo flink vorgelaufene Jungen das Wunder bereits gemeldet hatten.
Dort angelangt, sagte das Mädchen zu der erstaunten Menge. Glänzt sie nicht wie ein Stern über der Krippe von Bethlehem.
Eine solche Krippe bauen die barmherzigen Schwestern in Berlin am Heiligen Abend auf und feiern am frühen Morgen davor die Christmesse, sagte der alte Pfarrer. Dann will ich den Blütenstern nach Berlin bringen, damit er hoch über der Krippe leuchtet erwiderte das Mädchen.
Sofort spannten die Bauern die Pferde ein und ab ging es nach Berlin zu den barmherzigen Schwestern. Von den frommen Frauen wurde die Abordnung aus Bernau freudig empfangen und mit Speisen und warmem Trank erquickt, während der Pfarrer die seltsame Geschichte erzählte. Es war gerade noch Zeit bevor die Christmesse anfing. Als dann die Städter und die Leute und aus der Umgebung zur Christmesse kamen, strahlte über der Krippe der Silberstern mit leuchtenden Demantstein in der Mitte. Noch nie hatte man einen so herrlichen Stern von Bethlehem gesehen. Es zeigte sich, dass die Blüte tatsächlich von feinstem Silber und der Edelstein in ihrem Kelch echt und kostbar war. Die Klosterfrauen gaben dem Mädchen dafür außer einer Summe Geldes, Saatkorn, zwei Kühe und andere Nutztiere und Federvieh.
Nun konnten die Eltern aus Bernau die Wirtschaft wieder aufbauen. Der Vater war fortan ein ordentlicher und fleißiger Mann, der treu für seine Familie sorgte.
Lange Jahre hing der Blütenstern bei den barmherzigen Schwestern in Berlin. Erst im 30jährigen Krieg haben ihn habgierige Söldner des großen Edelsteins wegen geraubt, sonst würde er heute noch über der Krippe strahlen und Zeugnis abgeben von dem Wunder, was sich im Stadtwald von Bernau zugetragen hatte.
Erzählt von Horst Werner