19/01/2025
// von Boris Pfeiffer //
Zu seinem 60. Geburtstag bekommt A. feinsäuberlich verpackt drei Taschentücher geschenkt. Er ist nicht erfreut. Die Einfallslosigkeit lässt ihn nahezu verstummen. Ich nehme die Taschentücher in die Hand und lasse sie durch die Finger gleiten. "Das ist gute Baumwolle", erkläre ich. "Da schneuzt man sich rein und wirft die in die Waschmaschine statt sie wegzuwerfen", erwiderte er. "Das ist gute Qualität", sage ich. "Ich schenke dir eins", erwidert er. Plötzlich zögere ich. Will ich ein Taschentuch haben? Ein Taschentuch, in das man weinen muss? Gibt es da nicht diese abergläubische Regel, dass man ein Taschentuch nicht auf sein Bett wirft, um nicht die ganze Zeit weinen zu müssen? "Ich schenke dir eins", wiederholt A. "Dann nehme ich das grüne", antworte ich. Verdammt, will ich ein Taschentuch? Geteiltes Leid ist halbes Leid, denke ich plötzlich, nehme es und stecke es ein. Ich bin jetzt Besitzer eines unbenutzten Taschentuchs.
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