02/01/2021
Ein Aufruf von Katia Saalfrank, den ich sehr unterstützendswert finde. Ich bin wirklich schockiert, dass es solche TV-Formate noch immer gibt und hoffe sehr, dass es möglichst wenig geschaut werden wird...
‼️Aus gegebenem Anlass ‼️
Heute kein Herzimpuls sondern Worte über ein Thema, was mir sehr am Herzen liegt und auch eines ist, was unsere Gesellschaft und jeden Einzelnen von euch betrifft:
Welchen Blick haben wir auf Kinder und wie gehen wir mit ihnen um?
RTL wird morgen eine Sendung ausstrahlen: "Erziehe dein Kind wie einen Hund!"
Gerne möchte ich hierzu etwas sagen:
Es geht darum, wie wir Kinder sehen! Es geht darum, welchen Blick wir auf Kinder haben.
Es geht darum, wie wir uns als Gesellschaft Kindern gegenüber positionieren. Es geht darum, was wir für eine Gesellschaft wollen, denn Kinder sind die Menschen, die morgen die Welt gestalten. Kinder haben keine Lobby, deshalb brauchen sie uns!
2004 bin ich als Pädagogin in der Sendung „Die Super Nanny“ für rund 8 Jahre in Familien in der aufsuchenden Familienarbeit mit RTL unterwegs gewesen. Als ich den Auftrag damals angenommen habe war das Konzept schrecklich veraltet und aus England kommend ausschliesslich verhaltensorientiert ausgerichtet. Es wurde jemand gesucht, der das Konzept aus England 1:1 in Deutschland umsetzt. Das habe ich damals nicht durchschaut, dann aber schnell verstanden. Maßnahmen, wie die „stille Treppe“ aus dem Englischen „naugthy step“ oder auch in Deutschland bekannt aus einer Buchreihe „Jedes Kind kann Regeln lernen" der sog. "stille Stuhl", die "Auszeit", gehörten fest zur Formatierung dazu. Eine schwierige Anfangszeit für mich. So war meine pädagogische Arbeit zunächst vorallem davon geprägt, Kraft und Energie aufzuwenden diese Massnahmen abzuschaffen und neue wertschätzende Wege zu finden, also meine Haltung in die pädagogische Arbeit einzuarbeiten und (Ver-)Bindung und Beziehung in den Fokus der öffentlichen Arbeit zu rücken.
Das ist zwar zügig gelungen und doch war es schwer, denn viele pädagogische Massnahmen in unserer Gesellschaft sind verhaltensorientiert. Ich musste viel fachlich begründen und meine Möglichkeiten für Veränderung schienen zunächst begrenzt. Dennoch, die Sendung „Die Super Nanny" konnte sich in Deutschland sehr schnell verändern. Danke an RTL an dieser Stelle. Der „stille Stuhl“ konnte nach ganz kurzer Zeit aus der Sendung verbannt werden und Konfliktlösungen fanden nicht mehr über trennende Massnahmen und Sanktionen (Wegschicken, Belehren, Bevormunden und Demütigen) oder Belohnungen statt, sondern durfte über verbindende Massnahmen, wie Dialog, Verständnis füreinander und eine wertschätzende Führung stattfinden. Eine Führung, die die Entwicklungsphasen berücksichtigt und emotionale Entwicklung und Bedürfnisse von Kindern in den Mittelpunkt gestellt hat.
Nach knapp 8 Jahren konstruktiver Auseinandersetzung mit den Senderverantwortlichen habe ich mich 2011 aus verschiedenen Gründen dafür entschlossen die Arbeit nicht weiter in diesem Rahmen fortzuführen. Viele von euch werden sich daran erinnern.
Warum ich das erzähle? Weil ich ein Déjàvu habe. Denn:
RTL wird morgen die Sendung: „Erziehe dein Kind wie einen Hund.“ ausstrahlen. Eine Sendung, die postuliert, dass Kinder wie Hunde mit einem Leckerli mit verhaltensorientierten Massnahmen konditioniert werden könnten. Das ganze ist als Experiment angekündigt. Es scheint somit, als seien wir um Jahrzehnte und damit wieder mindestens ins Jahr 2004 zurückgefallen - denn das, was hier gezeigt werden soll ist schwarze Pädagogik.
Ich kann kaum glauben, dass genau 10 Jahre nach dem Ende meiner auch inhaltlichen erfolgreichen Zusammenarbeit mit RTL im Jahr 2021 nun eben dieser Sender - gerade nach diesen gemeinsamen Erfahrungen und vielen inhaltlichen Auseinandersetzungen nun eine solche Sendung auf den Schirm ins Programm holt! Schon 2004 war die Pädagogik veraltet - 2021 erst recht!
Man könnte auf die Idee kommen sich zu fragen, ob die Verantwortlichen keine Ahnung von Kindern und deren Beschaffenheit und Entwicklung haben. Man könnte denken, sie haben vielleicht selbst keine eigene Familie oder keine Kinder. Ich kann sagen: sie haben Kinder! Sie haben Familie und sie wissen, dass diese Form von schwarzer Pädagogik für Kinder und deren Familien entwicklungshemmend, ja sogar langfristig schädlich sein kann.
Sie wissen aber auch, dass diese Form von Pädagogik in einer Sendung einen Einschaltimpuls bei euch als Zuschauer auslöst. Ob dieser aus Empörung, aus Erschrecken, aus Informationsinteresse oder aus Voyeurismus heraus entsteht wird nicht gemessen und ist nicht relevant! Nur das Einschalten an sich. Jedes Einschalten, jeder Klick zählt. Natürlich kann man sich darüber aufregen und sich wünschen, dass unsere Gesellschaft anders funktionieren würde. Letztlich machen also alle "nur ihren Job"?
Deshalb: Lasst euch nicht manipulieren! Tut etwas, bzw. lasst etwas sein: Schaltet nicht ein! Das ist nämlich dann wiederum eure Verantwortung, das ist das, was ihr tun könnt! Kinder können sich nicht aus sich selbst heraus helfen. Kinder haben keine Lobby, deshalb brauchen sie uns!
Natürlich könnt ihr auch die Petition unterstützen, die gerade durchs Netz geht und man kann darauf hoffen, dass der Kinderschutzbund und die Medienaufsicht einschreiten und: eine der wirksamsten Möglichkeiten ist schlicht und ergreifend NICHT einzuschalten und nicht zu streamen. Den Fokus NICHT auf das zu legen, was wir NICHT in dieser Welt haben wollen! Wenn wir nicht wollen, dass Kinder mit Leckerlis belohnt oder durch das Weglassen dieser bestraft und so an ein von der Person, die die Leckerlis vergibt gewolltes Verhalten angepasst werden, dann sollten wir NICHT einschalten, NICHT zusehen, NICHT mitmachen bei dieser Veranstaltung.
Denn nur das Hinschauen über das Einschalten ist die Währung! Die Einschaltquote. Nur also, wenn ihr nicht einschaltet, können wir an dieser Stelle vielleicht etwas bewirken, könnt Ihr etwas bewirken und euch positionieren. Jeder Einzelne von euch!
Kinder können sich nicht aus sich selbst heraus helfen und sich positionieren. Kinder haben keine Lobby, deshalb brauchen sie uns!
Kinder mit Belohnungen und Strafen trainieren zu wollen ist absolut überflüssig. Strafen sind absolut überflüssig, davon bin ich überzeugt und auch die Wissenschaft belegt das in zahlreichen Studien und den Forschungsergebnissen. Ich erlebe tagtäglich, wie es anders gehen kann, wie es ist, wenn wir Kinder besser verstehen und ihr Verhalten als Signal auf innerliegende seelische Vorgänge interpretieren und konstruktiv darauf antworten. Ich erlebe das in meinen Beratungen, gebe dazu zahlreiche bindungs- und beziehungsorientierte Kursangebote und Aus- und Weiterbildungen, führe Gruppen, verfasse Videos hier auf FB und Insta und mache einen wöchentlichen kostenlosen Podcast dazu.
Viele Kollegen positionieren sich FÜR Kinder und sprechen sich dafür aus emotionale Bedürfnisse zu berücksichtigen: Nora Imlau, Nicola Schmidt, die Plattform Einfach Eltern - Bindungsorientierte Erziehung mit Frauke Ludwig und Diana Schwarz, die Pädagogin Susanne Mierau von Geborgen Wachsen, der wunderbare André Stern, Katja Seide und Danielle Graf von Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten und mein Freund Herbert Renz-Polster, der sich unermüdlich für Kinder und ihre Recht einsetzt sind nur einige derjenigen, die immer wieder FÜR Kinder aufstehen. Danke an euch alle und die vielen, die ich jetzt nicht genannt habe.
Die Entwicklungspsychologie lehrt uns, dass Kinder Teamworker sind, dass sie kooperativ sein wollen und die Frage ist, wie wir unsere Führung gestalten: über Macht und Demütigung, über Belohnung und Bestrafung? Oder mit erwachsener Verantwortung, die die elterliche Macht nicht missbraucht, sondern über Verbindung konstruktive Beziehung aufbaut und nutzt. Es gibt zahlreiche Bücher der obigen Kollegen dazu und auch ich habe mittlerweile dazu umfangreiche Bücher geschrieben z.B. „Beziehung statt Erziehung“ oder „Kindheit ohne Strafen“ - Es gibt also viel Information, wenn es darum geht zu zeigen, was Kinder brauchen, um gesund aufzuwachsen. Kinder über Konditionierung und reine Verhaltensanpassung zu lenken ist nicht nur komplett veraltete Pädagogik, das im TV zu zeigen zynisch.
Und als ob sie es nicht besser wüssten, kommt nun RTL 2021 ernsthaft um die Ecke und will provokant zur Diskussion stellen (obwohl sie es besser wissen!), ob wir Kinder wie Hunde erziehen sollten? Alleine, dass dieses „Experiment“ überhaupt rechtlich offensichtlich erlaubt ist und nicht von entsprechenden Stellen verhindert wird, zeigt, was unsere Gesellschaft von Kindern hält. Dass wir es zulassen, dass Kinder 2021 mit allem Wissen, was wir in den letzten Jahrzehnten aus der Säuglingsforschung, der Entwicklungspsychologie und der Hirnforschung, (um nur einige Wissenschaften zu nennen) erlangt haben, dafür herhalten DÜRFEN, einen solchen Bu****it (sorry!) zu experimentieren, ist nicht zu glauben.
So bitte ich euch alle von Herzen: Schaltete nicht ein! Legt euren Fokus auf (Ver-)Bindung und Beziehung. Ignoriert die Sendung im Netz und im TV. Geht daran vorbei.
Sendungen über Familien und Kinder, darüber was Kinder brauchen und was Bindung und Beziehung dabei für eine Rolle spielen wünsche ich mir nach wie vor sehr im Fernsehen. Ich bin absolut dafür, dass auch Familien und ihre Anliegen gezeigt werden. NUR: warum muss das immer provokantes KRAWALL-TV sein und immer auf Kosten der Kinder gehen? Warum darf es nicht Herz-TV sein? Denn das wird es sein, wenn wir zeigen würden, wie es wirklich gehen kann.
In Verbindung und mit einer echten Beziehung zum Kind? Eine wertschätzende, verantwortungsvolle Führung von Erwachsenen? Beziehungsmomente, Herzverbindungen, Konfliktlösung im Miteinander. Wir dürfen uns Kindern in einer liebevollen und wertschätzenden Art und Weise zuwenden - ich begleite dabei Menschen jeden Tag. Das ist berührend, spannend und wundervoll - es ist auch mal aufregend und manchmal wissen wir nicht weiter... ja. Und doch ist es eigentlich auch nicht so schwierig, wenn wir uns dann die Mühe machen und Zeit nehmen, Kinder besser zu verstehen, anstatt die Trillerpfeife auszupacken und mit dem Leckerli zu wedeln.
Deshalb nochmal, ich bitte euch von Herzen: Schaltet nicht ein, wenn RTL ruft: Erziehe dein Kind wie einen Hund! Lasst euch nicht drauf ein! Ihr habt es in der Hand.
Bitte: Teilt den Beitrag und verlinkt, markiert was das Zeug hält, vielleicht können wir so das Netz fluten und etwas bewirken.
Legt euren Fokus auf Bindung und konstruktive Beziehung und steht auf!
FÜR Kinder
FÜR eine Kindheit ohne Strafen und
FÜR eine friedvolle Welt ohne trainierte angepasste Kinder
DANKE!
❤️
eure
Katia