02/10/2024
Berghain, Tresor und der Kit Kat Club – legendäre Techno-Clubs in Berlin, die noch heute Magneten für Feierwütige aus der ganzen Welt sind. In Bremen dagegen haben Clubs wie Crash, Maxx, Tunnel, Drome und die Neue Welt die Jahrtausendwende nicht erlebt oder nur knapp überlebt. Dabei war auch Bremen mal ein angesagter Hotspot der elektronischen Musik, einige der damaligen DJs, die in Bremen Platten auflegten, sind inzwischen weltbekannt. Weniger im Rampenlicht dagegen diejenigen, die die ersten Partys ins Rollen brachten, den Künstlern eine Bühne boten.
Einer der allerersten Enthusiasten des elektronischen 4/4-Taktes war Reiner Kreutzmann. Er sitzt in seiner Loft-Wohnung in der Bremer Innenstadt am Mischpult mit dutzenden Reglern. Anzeigen tauchen sein Gesicht in bunte Farben, spiegeln sich in seiner Brille. Aus den hochwertigen Boxen eines englischen Herstellers, dessen Lautsprecher auch das legendäre Berghain in Berlin und nur eine handvoll weitere Clubs in Deutschland beschallen, kommt leise Hintergrundmusik. Für den gelernten Tontechniker Kreutzmann war eine möglichst perfekte Technik, der beste Sound, von Anfang an ein Muss und ist es noch heute.
Zu seiner Liebe zur Musik trug unter anderem seine Großmutter bei. Sie war Sopranette am Bremer Theater. "Ich habe das, glaube ich, von ihr. Ich war sehr gerne bei ihr, La Traviata kannte ich auswendig." Als Zehnjähriger stand für ihm eine Doppel-LP von Wencke Myhre hoch im Kurs. "Und mit vierzehn ging es weiter mit den Tramps, Soul und dem Phily-Sound." Sound, wie Reiner Kreutzmann sagt, mit dem er damals oft musikalischer Außenseiter gewesen sei.
Das Clubleben begann für Reiner Kreutzmann in den 70er-Jahren – also lange bevor die Loveparade Mitte der Neunziger im Mainstream ankam und für die Öffentlichkeit zum Sinnbild der Techno-Bewegung wurde. Es war sein eigener kleiner Clubraum mit psychedelischen Tapeten und selbst gezimmerter Bar, den die Eltern dem Teenager 1972 zugestanden, wohl auch um nicht selbst ständig von klingelnden Freunden und lauter Musik umgeben zu sein.
Später schleppten ihn Freunde in das "EX" in der Eduard-Grunow-Straße. "Aus dem Laden wurde die erste Gay-Disko in Bremen gemacht, Studio 54 war in allen Bereichen das Vorbild", erinnert sich Reiner Kreutzmann. Die Platten für die Partys? Wurden in Amsterdam gekauft. Der Ausbildung als Elektroinstallateur folgte eine weitere zum Licht und Tontechniker. Während dieser erhielt seine damalige Bremer Firma den Auftrag, die Licht- und Tonanlage in dem Club zu installieren, der ihm dabei sehr ans Herz gewachsen sei.
1988 startete Kreutzmann in der Sögestraße mit dem "Gaymes" einen ersten Club-Versuch. Im "Gaymes" sollte eigentlich "Acid" laufen. "Dafür war der Laden aber zu klein und zu sauber." Kreutzmann gab den Laden auf, der dann unter den Namen "Schabbalabba" firmierte. Unterdessen hatte Radek Bisek zugeschlagen und das "EX" gekauft und daraus das "Crash" gemacht. Der Oldenburger Gerret Frerichs, der zusammen mit Oliver Huntemann als "Humate" 1993 den Techno-Hit "Love Stimulation" landete, legte dort auf und organisierte das Musikprogramm: Techno und Acid-House. 1989, nur wenige Monate später, konnte Kreutzmann seine alte Liebe den Betreibern abkaufen. Gerade rechtzeitig, denn Techno wurde damals, ausgehend von Frankfurt und Berlin und dann auch von Bremen, populär. Techno wurde zum Sound der Wende.
Das Crash lief zunächst zweigleisig. "An einem Abend haben wir etwas für die Schwulenszene gemacht", sagt Reiner Kreutzmann, dessen Versuch die Szene für die neue Musik zu begeistern allerdings scheiterte: "Das endete immer damit, dass die Leute fünf mal am Abend fragten, wann wieder Marianne Rosenberg läuft", lacht Reiner Kreutzmann. Den Freitag bekamen die Jung-DJs Michael Otten, Marco Kalski und Mirko Sieling für Technoveranstaltungen. "Die haben das großartig gemacht." Am Samstag gab er Thomas Schumacher, der später mit dem Bremer Stephan Bodzin als "Elektrochemie LK" deutschlandweit bekannt wurde, und Andre Flato ihre Chance. "Die kamen mit einem richtigen Konzept, das gab es sonst eigentlich nicht", sagt Reiner Kreutzmann. In Erinnerung blieb besonders eine Party: "Auf dem Flyer stand: Doors 22 Uhr." Damals etwas missverständlich. "Die Schlange ging bis zum Dobben und die Gäste fragten, wann denn die Doors spielen würden."
Das Mixen – in der elektronischen Musik werde Musikstücke üblicherweise übergangslos ineinander gemischt – mussten die jungen Künstler aber erst noch üben. Reiner Kreutzmann kann sich noch lebhaft an die ersten Gehversuche der DJs erinnern. "Zwischen den einzelnen Stücken waren immer Pausen", erinnert er sich an die ersten Abende von Thomas Schumacher. Die Antwort des DJs, so die Erinnerung von Reiner Kreutzmann: "Das kann ich noch nicht, das muss ich noch lernen." Großartig habe er das gefunden und ihm die Zeit dafür gegeben. Die Lehrzeit war erfolgreich: Schumacher wurde einer der bekanntesten Techno-DJs und -Produzenten in den Neunzigern. Inzwischen produziert er von Berlin aus elektronische Tanzmusik.
Für Reiner Kreutzmann war aber nach drei Jahren, in denen das "Crash" zu einer der Adressen für Techno in Bremen wurde, weinend auf einer Eistruhe im Clublager Schluss. "Wir hatten irgendwann immer Ärger mit Hooligans und Skinheads, die die Türsteher nicht in den Laden ließen." Die Gewalt eskalierte, die gesamte Front des Ladens wurde zerlegt und Gäste brachten den Clubbetreiber in den hinteren Bereich in Sicherheit. Auf die Frage, was er nun mache könne, habe ein Polizist geantwortet: "Machen sie den Laden zu, dann haben sie Ruhe." Obwohl sein Herz an dem Laden hing, verkaufte Reiner Kreutzmann. Ein Ende war das aber nicht, nun ging es zurück zu den Wurzeln: Die eigene Werkstatt wurde zum Techno- und House-Privatclub umgebaut. Danach folgten Jahre als Gast in der Hamburger Clubszene, Jahre in der Open-Air-Szene und der Rückzug ins Private.
Heute hat Reiner Kreutzmann mehrere berufliche Standbeine: einen autorisierten Fachbetrieb für professionelle Wäschereimaschinen, eine ökologische Nassreinigung und ein ökologisches Nichtraucher Seminar- und Gästehaus. Und inzwischen produziert er auch wieder Musik unter verschiedenen Namen und betreibt ein kleines Musik-Label für Techno-Musik. Unter den Projektnamen "ÄlÄllispapiund "MiMielsenst er mit melodischem Techno zu den Ursprüngen des Technoherz im 4/4-Takt zurückgekehrt.
Christian Hasemann, Weser Kurier