05/06/2024
KRAKE HILFT BEIM GEZIELTEN AUSSCHALTEN
Zuletzt war die amerikanische Firma Palantir im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg hierzulande in den Schlagzeilen. Ihre umstrittenen “Datenanalyse”-Software-Produkte werden schließlich auch dort eingesetzt. In seiner Doku „Watching You – Die Welt von und Alex “ (Kinostart 06.06.2024) befasst sich Regisseur Klaus Stern – wie der sperrige Titel bereits verrät – primär mit dem CEO und nebenbei auch ein wenig mit der Frage, was das Unternehmen mit Deutschland zu tun hat.
Das Wort Palantír steht im Fantasieroman „Der Herr der Ringe“ für magische Kristallkugeln, die zur Kommunikation und zur Fernsicht verwendet werden. Der Besitzer der “sehenden Steine” ist imstande, Einfluss zu üben und Geschehen wesentlich zu beeinflussen. Kurzum, bereits der Name, den Alex Karp vor rund 20 Jahren für seine mitunter mörderische Unternehmung wählte, erscheint betont doppelbödig. Erst recht, wenn man bedenkt, wie verschlossen sich die Firma gibt, die trotz ihrer engen Zusammenarbeit mit diversen Militär-, - und polizeilichen Einrichtungen viel zu selten am Pranger steht.
Was wahrscheinlich auch an dem harmlos wirkenden Image liegt, mit ihrer “Datenanalyse-Software” ja nur zu helfen, riesige, unstrukturierte Datenmengen zu durchforsten und zu ordnen. „Watching You – Die Welt von Palantir und Alex Karp“, der neueste Dokumentarfilm von Klaus Stern (“Weltmarktführer – Die Geschichte des Tan Siekmann”; “Gestatten, Bestatter – Der Insolvenzverwalter Fritz Westhelle” oder “Versicherungsvertreter – Die erstaunliche Karriere des Mehmet Göker”) verheimlicht zwar nicht, dass Karps Palantir vielmehr die größte kommerzielle Überwachungsfirma der Welt darstellt und wohl auch einen zentralen Anteil an der gezielten “Ausschaltung” eines gewissen Osama Bin Ladens im Mai 2011 hatte, nährt aber – bewusst oder unbewusst – gleichzeitig eben auch jene verharmlosende Darstellung.
Dem Film zu Gute halten kann man, dass er handwerklich – in puncto Dramaturgie und Bildsprache, ja generell mit einer überdurchschnittlichen Kameraarbeit – tadellos ist, absolut zu fesseln vermag, kurzweilig und scheinbar aufklärerisch daherkommt. Und vor allem keinen Hehl daraus macht, dass einerseits Sterns Kameramann Thomas Giefer vor einigen Jahrzehnten mal eng für ein Filmprojekt mit Karp zusammengearbeitet hat und letztgenannter auch dem Doku-Duo heute gezielt und mehrfachst aus dem Weg ging.
Indem sich die Kinoproduktion im Großen und Ganzen damit begnügt, dafür primär drei Menschen ausführlich zu Wort kommen zu lassen, die ihn früher als Doktoranten kannten, als Wirtschafts-Journalistin lange beruflich “beobachten” oder lange für Karp arbeiteten und das Ganze dann aber visuell eben sehr ansprechend kredenzt, indem Dutzende (inhaltlich meist leider völlig belanglose) Sequenzen, die etwa den Börsengang von Palantir sowie Außen(!)-Aufnahmen des alljährlichen perfiden “World Economic Forum” in Davos (bei denen die “Softwareschmiede” einen eigenen Pavillion unterhält, damit sich die “wichtigen Menschen”, die der Einladung eines gewissen Klaus Schwab zum Waffendealen) zeigen, montiert wurden, kratzt „Watching You – Die Welt von Palantir und Alex Karp“ tatsächlich lediglich an der Oberfläche.
Und selbst das nur ultrasanft. Wiederholt (!) garniert mit dem schlicht penetrant und unfreiwillig albern wirkenden eigenen alten Schnipsel des jungen Karps aus besagtem Filmchen, welches Sterns Kameramann 1997 zimmerte, beim Versuch sich im windigen New York einer seiner geliebten fetten Zigarren anzuzünden, lässt die Doku viel zu undeutlich, dass sich Palantir bereits wie ein Krake über die ganze “westliche” Welt ausbreiten konnte. Die Hand voll kritisch lesbarer Anmerkungen, die in über 90 Minuten überhaupt vorkommen, drehen sich rund um die vom Bundesverfassungsgericht für teilweise verfassungswidrig erklärte “Zusammenarbeit” mit der hessischen Polizei (die speziell auf deutsche “Bedürfnisse” zugeschnittene Fahndungssoftware ) und ein paar O-Töne des ehemalige CIA-Chefs Michael Hayden, der klar macht: “Natürlich töten wir auf Basis von Metadaten Menschen.”
Dabei gäbe es so unendlich viel mehr über den Mann zu erzählen, der seine Firma, die formal im us-amerikanischen Denver sitzt und für automatisierte Handelssysteme an Börsen sowie Gesundheitssysteme ebenso wirkt wie für Geheimdienste, offenkundig mit eiserner Hand regiert; der – es wird in der Doku gezeigt, aber nicht hinterfragt – in Aufsichtsräte in wichtige deutsche Unternehmen, wie beim Chemiekonzern oder beim Axel Springer-Konzern (BILD, Welt und Co.) “gewählt” wurde… Erst recht wenn, wie Regisseur Stern gerne angibt, sieben Jahre von der Filmidee bis zur Aufführung ins Land gingen.
Wenn das Resultat als Versuch gesehen werden soll, den Menschen Karp greifbar zu machen, der bei NSA, CIA oder FBI ein- und ausgeht sowie lapidar bekundet, dass sich die Kriegsführung durch Software noch eklatant verändern wird, ist dieser kläglich gescheitert. Da hilft es nicht, dass man den Palantir-CEO freimütig hören sagt, dass die Macht ausgefeilter algorithmischer Waffensysteme mittlerweile vergleichbar mit dem Besitz einer taktischen Atomwaffe sei oder „Unser Produkt kann zum Töten von Menschen eingesetzt werden.“
Denn Klaus Stern erwähnt zwar ebenfalls, dass Karp mit der vermeintlich kostenlos an die Ukraine gelieferten Software namens MetaConstellation “hilft”, die massenhaften Daten von Satelliten, Flugzeugsensoren und Drohnen zu verarbeiten, dem Vernehmen nach um in Echtzeit russische Truppenbewegungen zu verfolgen – aber auch das ohne weitere Einordnung. Wirkliche Kritiker von Waffen- und Kriegsmaschinerie hätten bereichernd wirken können. Aber wie auch bei den Szenen rund um “Hessen” – wo ja in den vergangenen Jahren nicht nur einmal rechtsradikalste Strukturen im Polizeiapparat ruchbar wurden: “Watching You – Die Welt von Palantir und Alex Karp” hat mehr blinde Flecke als erträglich wären. Nicht nur zu den Themenfeldern Krieg und “Terrorismus” sondern auch zum Komplex Überwachung (vulgo Einschüchterung) auch der eigenen Bevölkerung.
Derweil hat Palantir erst vor kurzem wieder millionenschwere Aufträge von der US-Arme bekommen. Angesichts dessen, was sich in der Welt so zusammenbraut, wirkt Sterns Film gar perfide verharmlosend. In jedem Fall lassen summa summarum eben bestenfalls zwei, drei Minuten aufhorchen. Aktuelle windige “Wikipedia”-Textchen erscheinen im Vergleich zu der Kinoproduktion erwartbar noch willfähriger. Aber für jene Online-Plattform zahlen ja wirklich nur die Naivsten der Naiven, die immer noch nicht gecheckt haben, dass die selbsternannte “freie” Enzyklopädie bei zahllosen wichtigen “Artikeln” zensiert und von gewissen Kreisen gezielt “stromlinienförmig” editiert daherkommt. An der Kinokasse gibt hoffentlich auch der unpolitischste Bürger sein Geld überlegter aus. Und hier kann man sich die Ausgabe für ein Ticket wirklich sparen zu dem der Regisseur gegenüber “hessenschau.de” bekundet: “Mich treibt es an, nicht einfach einen Sachverhalt zu erklären, sondern eine Geschichte zu erzählen. Ich will Alex Karp nicht an die Wand nageln. Das ist mir zu einfach. Ich will den Mensch und die Geschichte mit all ihren Widersprüchen beleuchten.”
Dass hier Alex Karp, der sein Imperium unter anderem mit “Paypal-Erfinder” Peter Thiel, einem großen Trump-Unterstützer, gründete und nur deswegen als leicht widersprüchliche Persönlichkeit statt als generell brandgefährliche und bekennender Teil – offenbar weit mehr als ein Mosaiksteinchen! – der aktuellen -Maschinerie Israels zu Lasten abertausender Zivilisten in Palästina gezeichnet wird, ist noch bitterer anzusehen als es diese Selbstbeschreibung befürchten ließ. Statt seine Verantwortung an Massenmorden (etwa auch in Afghanistan) ohne Umschweife wenigstens zu benennen wenn schon nicht nachdrücklich zu verurteilen, wird der Mann mit seiner mitunter mörderischen Software fast wie ein verhinderter Pop-Star portraitiert, der sich überall betont unkonventionell gebärdet und wo es nur geht, unterstreicht, dass er das Kind von Hippies sei, ein ehemaliger Neomarxist und vor allem ein vorgeblich Linker.