26/04/2023
Im Ausland hat man offensichtlich einen ganz nüchternen Blick auf die Wirtschaftspolitik der Ampel. Das Thema des Tages der Neuen Zürcher Zeitung lautet dementsprechend:
Wenn Deutschland das Auto abschafft, schafft es seinen Wohlstand ab
Ende der 1940er Jahre versprach der erschwingliche VW Käfer eine bessere Zeit. Beim Käfer war es das Knattern. Drehte man den Zündschlüssel um, schepperte sich der Motor des Erfolgsmodells aus dem Hause Volkswagen zum charakteristisch ratternden Lärm. Und der erklang nicht nur in der Nachkriegszeit auf den Strassen. In einem Werbespot von 1968 heisst es: «Dieser Wagen läuft und läuft und läuft», während der Käfer in die Ferne gleitet. Das Auto wurde zum Kultprodukt.
Jahrzehnte später knüpfen Modelle wie der Audi R8 an die Erzählung der perfektionierten Ingenieurskunst aus Deutschland an. In einem Werbespot für den Sportwagen schwebt die Kamera von den Scheinwerfern über die glänzenden Felgen hin zum vibrierenden Motor. Der Betrachter sieht in Nahaufnahme ein Geflecht aus Kabeln, Lamellen, Rohren und Ventilen. Es ist die Technik im Innern des Sportwagens, das Raffinement unter der Heckscheibe, die das aus zehn Zylindern gespeiste Orchester möglich machen. Auf voller Lautstärke: so ohrenbetäubend wie schön.
Ob deutsche Motoren in der Zukunft noch so beworben werden können, ist fraglich. Langfristig sollen Elektroautos die Verbrenner verdrängen. Deren Batterien vibrieren nicht, und die Geräusche, die sie von sich geben, sind künstlich – ohne wären sie zu leise und könnten im Verkehr überhört werden.
Bei der Automobilmesse Auto Shanghai 2023, die gerade in China stattfindet, sind die deutschen Hersteller weit davon entfernt, die Platzhirsche zu sein. «Die chinesische Dominanz ist beängstigend», heisst es in einem Text des Branchenmagazins «Automobil-Industrie».
Freude am Schämen
Verfolgt man die deutsche Diskussion über die wichtigste Branche des Landes, dann hat man den Eindruck: Je früher der alte Klang verschwindet, desto besser. Vom Stolz auf die eigene Ingenieurskunst und die Wirtschaftsleistung, die das deutsche Auto verkörpert, haben sich die meisten einflussreichen Akteure – darunter viele Journalisten, vor allem im öffentlichrechtlichen Rundfunk – längst verabschiedet. Das deutsche Wort «Fahrvergnügen» hat heute mehr Fans in den USA als in der Heimat. Freude am Fahren? Eher Freude am Schämen.
Jüngstes Beispiel der Schuldkultur: In einer Ausgabe der Sendung «Stern TV» unternahm die Moderatorin einen Versuch, den Entertainer Oliver Pocher als «stolzen Autoliebhaber» darzustellen. Damit auch dem letzten Zuschauer klarwird, wie verwerflich das ist, wurde ein altes Foto von Pocher und einem roten Audi TT eingeblendet. Der Comedian hatte sich zuvor über radikale Klimaschützer lustig gemacht. Pocher widersprach. Von einer unterstellten «Autoleidenschaft» sei er weit entfernt. Absurd, dass solche Bilder inzwischen genügen, um Prominente an den Pranger zu stellen.
Talkshows sind nicht der einzige Ort, wo das Verhältnis der Bürger zum Auto neu verhandelt wird. Die Vertreter der in vielen Ländern und im Bund mitregierenden Grünen und die ihnen wohlgesinnten Kommentatoren träumen von autofreien Städten, die Fridays-for-Future-Sprecherinnen giften gegen «fossile Zyniker», und selbst die «FAZ» fordert im Jargon der Letzten Generation den Verzicht auf den motorisierten Individualverkehr, «wo immer es geht» . Es vergeht kaum ein Tag, an dem ein allgemeines Tempolimit auf den Autobahnen des Landes nicht herbeigeschrieben und -gesendet wird.
Die zwei Versionen der «Verkehrswende»
«Verkehrswende» heisst das Zauberwort. Es umfasst den Umstieg zu nachhaltigen Kraftstoffen, verkehrsberuhigte Zonen, den Ausbau des Bus- und Bahnverkehrs und breitere Wege für Radfahrer. Auf ein solches Programm können sich heute fast alle einigen. Doch es gibt noch eine zweite, radikale Lesart, die vor allem im linken Lager Anhänger hat. Laut ihr soll die Verkehrswende letztlich das Auto überflüssig machen – und mit ihm am besten gleich noch Flugreisen, Einfamilienhäuser und die Marktwirtschaft.
Die gern als «Mobilitätsexpertin» anmoderierte Aktivistin Katja Diehl formulierte es einmal so: «Wir nehmen den Deutschen den Traum vom eigenen Auto und vom Eigenheim.» Diehl hat ein Buch mit dem Titel «Autokorrektur» geschrieben. Sie plädiert, wenig überraschend, auch für eine autofreie Zukunft. Früher wurden solche Leute in Deutschland belächelt, heute gelten sie als ernstzunehmende Stimmen.
Vom stellvertretenden Landeschef der Grünen in Hamburg, Leon Alam, kam der Vorschlag, aus den Stadtteilen Hamburgs «15-Minuten-Städte» zu machen. Der Sinn dahinter: In jeder der mehr als hundert Zonen wäre alles zu erreichen, was die Anwohner zum Leben brauchen. Nebenbei würde die damit einhergehende «Reduktion von Autoverkehr» die Städter gesünder machen. Leben ist mehr als die Dinge, die man in 15 Minuten erreichen kann, möchte man entgegnen.
Alle gegen Volker Wissing
Der Kulturkampf kulminierte in diesem Frühjahr anschaulich im sogenannten Verbrenner-Streit der Ampelkoalition. Das weitgehende Aus des Verbrennermotors in Europa im Jahr 2035 steht zwar. Doch immerhin den Einsatz von E-Fuels – synthetischen Treibstoffen für einen CO2-freien Betrieb von Fahrzeugen – konnte der liberale deutsche Verkehrsminister Volker Wissing der EU-Kommission abringen.
Von den Grünen durfte sich Wissing zur Strafe anhören, er sei ein «Verbrennerfetischist». Fridays for Future forderte, reichlich phantasielos, den Rücktritt des Ministers. Viele andere stimmten ein. Der Fall zeigt: Wer als deutscher Politiker heute noch Einspruch einlegt gegen den Abstieg der Autonation Deutschland, muss mit schrillem Protest des klimasensitiven Milieus rechnen. Und das ist tonangebend – auch wenn es nicht für die Mehrheit im Land spricht.
Knapp vier von fünf deutschen Haushalten besitzen ein Auto. Anfang 2023 waren knapp 50 Millionen Autos im Land zugelassen – Rekordwert. Eine Mehrheit der Deutschen lehnt laut Umfragen ein pauschales Verbrennerverbot ab. Und die Automobilindustrie ist nach wie vor die umsatzstärkste Branche. 2022 belief sich der Umsatz nach Branchenangaben auf mehr als 500 Milliarden Euro. Trotz den Warnsignalen aus China geniessen deutsche Hersteller offenkundig noch immer einen hervorragenden Ruf.
Konfliktscheue Konzerne
Volkswagen, BMW, Audi, Mercedes-Benz und Porsche haben massgeblich dazu beigetragen, dass der Begriff «made in Germany» mit höchster Qualität verbunden wird. Sie haben, wie auch die Fahrt auf den Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung, zum Automythos und damit zur Prosperität der Bundesrepublik beigetragen. Doch der Mythos bröckelt.
Die Industrie verlagert ihre Produktion immer mehr ins Ausland. Und daran sind nicht die Ressentiments von Aktivisten und Politikern schuld. Was Deutschlands Automanagern echte Kopfschmerzen bereitet, sind die hohen Lohnnebenkosten, die stark gestiegenen Energiepreise und der planwirtschaftlich verordnete Wechsel zur Elektromobilität.
Kurioserweise hört man aus der Branche kaum Protest. Scheuen die Hersteller die Auseinandersetzung mit der Regierung – und wenn ja, warum? Der ehemalige Volkswagen-Chef Matthias Müller begründet die Zurückhaltung damit, dass die Konzerne «politisch nicht anecken» wollten: «Grüne Symbolpolitik beeinflusst leider auch das Marketing vieler Unternehmen.»
Wer sich nicht wehrt, wird verdroschen
Das ist einerseits verständlich; wer ohnehin weite Teile der Öffentlichkeit gegen sich hat und als Teil einer todbringenden Industrie verunglimpft wird, will keine zusätzliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Andererseits treibt die Zurückhaltung der Attackierten den klimaaktivistisch beseelten Teil der Öffentlichkeit nur noch mehr an. Wer sich nicht wehrt, auf den wird noch mehr eingedroschen.
Dabei hätten die deutschen Autohersteller auch heute noch allen Grund, selbstbewusst aufzutreten. Mit ihren Motoren haben sie nicht nur für eine florierende Wirtschaft gesorgt, sondern auch die Fortbewegung revolutioniert. Kein anderes Transportmittel bietet so viel Freiheit und Unabhängigkeit wie das Auto. Den deutschen Automythos haben kreative Ingenieure möglich gemacht, nicht Politiker oder Aktivisten.
Sie könnten diese Erfolgsgeschichte fortschreiben, mit hochentwickelten E-Autos oder klimaneutralen Verbrennern – wenn man sie denn liesse. Und wenn all diejenigen, die den Klimawandel bekämpfen und die deutsche Schlüsselindustrie erhalten wollen, den Mund aufmachten. Wer nicht widerspricht, wenn die Abschaffung des «Individualverkehrs» gefordert und pauschal gegen «Dreckschleudern» auf vier Rädern agitiert wird, der ist mitverantwortlich für den kommenden Abschwung.