04/08/2024
Der Grund, warum ich immer wieder erkläre, was der ist, ist dass ich glaube, dass er ein Schlüsselinstrument von Populisten ist und dass es nicht mehr funktioniert, sobald man ihn erkennt. Und es ist sehr einfach, ihn zu erkennen und seine Medienkompetenz darauf zu trainieren, ihn zu erkennen. Das ist so wie wenn man Menschen Kerning erklärt und ab diesem Moment sticht ihnen das fehlende Kerning bei jedem zweiten Werbeplakat ins Auge (was schrecklich annoying ist). Daher kommen gleich ein paar Beispiele dafür.
Ich erkläre aber erst noch mal, was der Induktionsfehler ist:
Induktion ist, wenn man von einem Detail auf das Gesamtbild schließt. Der Fehler ist, wenn man das - und das ist in Medien und Politik seit ca 15 Jahren die etablierte Norm - nur mit den Extremen macht. Dann sieht die Welt unrettbar gespalten aus. Man sieht aber nur 10% (5% von jeder Seite) der Gesamtheit. 90% ist ausgeblendet (siehe https://www.youtube.com/watch?v=xD4g4LWO52Q).
Populisten nutzen diesen Trick, um genau dieses Bild einer gespaltenen Gesellschaft zu erzeugen. Sie amplifizieren Extreme und mehr noch: Sie erfinden sie sogar, wenn es keine gibt. Sieht man immer dann, wenn ein Gesetzesvorhaben diskutiert wird und sofort nur noch ein einziges Szenario als Referenz für seinen Sinn oder Unsinn herangezogen wird, das aber eben nicht der 80% Normalfall ist sondern die eine enorm detailliert konstruierte Sondersituation, in der das Gesetz nicht funktioniert.
Beispiele gibt es genug: Ich hab das erste mal während der Corona-Lockdowns darüber geschrieben, wie Umfragen über die Maßnahmen genau das Gegenteil dessen aussagten, was über genau diese Umfragen geschrieben und gesagt wurde (http://jensscholz.com/index.php/2021/04/28/induktion-und-deduktion).
Aktuell würde ich die Cannabislegalisierung nennen. Ich sehe als Nichtkonsument keinerlei Unterschied zu vorher. Ich seh auch keine kiffenden Menschen an jeder Straßenecke oder die Schwemme an Drogentoten. Das waren aber die Horrorszenarien.
Oder wisst ihr noch, als die Ehe für Alle dafür sorgte, dass jetzt jede*r seinen Hund heiraten will? Das war das Szenario, das gegen die Ehe für Alle sprach.
Die Argumente gegen Erbschafts- und Reichensteuer funktionieren genauso: Es besteht eine mikroskopisch kleine Möglichkeit für jede*n Menschen, der gerade nicht reich ist, in seinem Leben doch noch reich zu werden. Diese Chance reicht aber, präventiv sein gar nicht vorhandenes Geld schützen zu wollen.
Ein Beispiel, wo der Induktionsfehler super funktioniert hat ist das Heizungsgesetz. Eine Wärmepumpe kostet gar nicht viel mehr als zB eine Gastherme und für die zusätzliche Umstellung bekommt man eine Förderung. Das Szenario war aber: Der Kauf einer Wärmepumpe macht dich Bankrott. Dafür hat man behauptet, man müsse ja auf jeden Fall das ganze Haus dämmen, die gesamte Elektrik erneuern und eine Fußbodenheizung einbauen und schon war die Rechnung so exorbitant, wie man sie darstellen wollte und wurde zur Referenz für die Kosten einer Wärmepumpe erklärt.
Wo wir den Induktionsfehler gerade auch sehen ist beim Thema Bürgergeld. Politiker und Medien diskutieren nur über Empfänger*innen, die "faul" sind und "nicht arbeiten wollen, obwohl sie könnten". Denen stehen die "braven Arbeitenden" gegenüber, die das sehen und denken "dann arbeite ich jetzt auch nicht mehr". Wo wir doch Fachkräftemangel haben.
Das ist ein geradezu absurdes Fantasieszenario, das aus mehreren Details zusammengestückelt ist, die eigentlich nicht mal zusammenpassen.
Was man aber nicht sieht, wenn man das Gesamtbild ausblendet:
1. Der Anteil der Bürgergeldempfänger*innen, die wirklich "nicht arbeiten wollen" ist lächerlich klein (https://www.fr.de/verbraucher/statistik-zeigt-zahl-totalverweigerer-empfaenger-buergergeld-aktuelle-zr-92901745.html).
2. Es gibt seit der Einführung des BG keine Abwanderung von Arbeitenden (https://www.rnd.de/politik/buergergeld-seit-start-wechseln-weniger-menschen-von-arbeit-in-die-grundsicherung-YJYGLWSCQJJKFFZFXAFGM2SVWQ.html).
3. Der Fachkräftemangel hat gar keinen Bezug zum Bürgergeld. Fachkräfte verdienen ja gut.
Das Szenario ist ein Extrem, das ein unwahrscheinliches Extrem erzeugt und ein unmögliches Extrem bewirkt.
Dieses völlig absurde Konstrukt ist aber das Szenario, mit dem derzeit die politischen Entscheidungen zum Bürgergeld getroffen werden.
Deshalb ist der Induktionsfehler nicht nur ein rhetorischer Trick (wenn man ihn absichtlich nutzt) oder Irrtum (wenn man drauf reinfällt), sondern gefährlich und wir alle sollten lernen, Induktion sofort zu erkennen und dann sofort darauf hinzuweisen, sobald er irgendwo auftaucht. Und er wird auftauchen: Sobald man ein Auge dafür hat, sieht man ihn überall.