05/06/2025
Rubrik: Deutschland
Die Deutschen müssen sich an politische Zuversicht erst wieder gewöhnen
(dpa/ NZZ) Deutschland ist die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt. Nicht allen deutschen Staatsbürgern ist das bewusst, aber es bedeutet etwas.
In der jüngeren Vergangenheit – besonders unter der sogenannten Ampelkoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen – wurde ziemlich konsequent an Deutschlands realer Bedeutung vorbeiregiert. Das Bündnis passte schon ideologisch nicht zusammen und setzte in der Praxis falsche Schwerpunkte. Es brachte Europa und dem angeschlagenen Westen keine neue Stärke.
Statt Wirtschaft und Wehrhaftigkeit zu fördern, erlaubte der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Ministern, sich mit esoterischen gesellschaftspolitischen Projekten zu verzetteln.
Die steuerfinanzierte Alimentierung von Leistungsempfängern aller Art schien wichtiger zu sein als die Belange der arbeitenden Bevölkerung. Bei der Bundestagswahl im Februar wurden SPD, Grüne und FDP für ihren untauglichen Regierungsversuch brutal abgestraft.
Merz und Klingbeil hängen sich rein
Unter dem christlichdemokratischen Bundeskanzler Friedrich Merz beginnt nun etwas Neues, wenn auch im alten Gewand: die fünfte Grosse Koalition zwischen Union und SPD in der Geschichte der Bundesrepublik.
Merz und sein Vizekanzler Lars Klingbeil von der SPD mögen in ihren Rollen noch schwer einzuschätzen sein – aber sie bemühen sich erkennbar um einen Politikwechsel. Merz ermöglicht seinem christlichsozialen Innenminister Alexander Dobrindt eine härtere Einwanderungspolitik, obwohl es dagegen nicht nur in der SPD, sondern auch in der Union nach wie vor substanzielle Widerstände gibt, die von der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel inspiriert sind.
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil kämpft darum, die Rolf Mützenichs und die Ralf Stegners seiner Partei von ihrem links-pazifistischen Kurs gegenüber dem Aggressor Russland abzubringen. Er will auch das hemmungslose Wachstum der Bundesbehörden stoppen und – jenseits der derzeit geplanten Milliardenschulden – einen systematischen Sparkurs der Bundesregierung einleiten.
In einem internen Analysepapier, über das zunächst die «Bild»-Zeitung berichtete, geht die SPD-Führung zudem äusserst hart mit der eigenen Regierungsleistung unter Olaf Scholz ins Gericht. Offenbar versucht Klingbeil, auch eine sozialpolitische Neuorientierung durchzusetzen – weg von der «zielgruppenorientierten» Verteilungspolitik vergangener Jahre.
Routinierte Verdammnisurteile
Ein Aufbruch zum Wohle des Landes scheint also möglich und könnte sogar zum Erfolg führen, wenn die veröffentlichte Meinung für einen Moment mit ihren routinierten Verdammnisurteilen innehielte. Gewiss: Zu Ampelzeiten war es fast unvermeidbar, Fehler im Regierungshandeln zu finden – sie tanzten gewissermassen n***t auf der Strasse herum. Aber ist jetzt nicht der Augenblick für ein klein wenig Vorschussvertrauen gekommen?
Am ausschliesslich apokalyptischen Denken kann Deutschland auf die Dauer nur kaputtgehen. Und einiges, was die Regierung Merz beginnt, macht doch Hoffnung: die beherztere Unterstützung der Ukraine zum Beispiel. Die Aufrüstung und personelle Stärkung der Bundeswehr. Ein entschlossen optimistischer Umgang mit dem so seltsam gewordenen Verbündeten USA. Eine kommunikativere EU-Politik – ob es nun um das gemeinsame Asylrecht oder um den schwierigen Umgang mit den amerikanischen Tech-Konzernen geht.
Wenig Einfallsreichtum hat das neue Regierungsbündnis bis anhin nur bei der Auseinandersetzung mit der AfD erkennen lassen. Ausgrenzung und parlamentarische Diskriminierung wirken offensichtlich als Wahlhelfer für die Rechten – wahrscheinlich müssten sie stattdessen durch Normalbehandlung auf ein Normalmass reduziert werden.
Dabei könnte die Formulierung eines freundlichen deutschen Nationalgefühls helfen, das die schreckliche Vergangenheit dieses Landes nie ausblendet, sich aber trotzdem die Freude auf eine Zukunft erlaubt. Vieles an und in Deutschland war oder ist schön und gut: der Wald, die Autoindustrie, die Wurst, das Bier, der Pferdesport, die Dichter, das Grundgesetz, das Vereinswesen, die Zivilität der meisten Bürger im Umgang miteinander.
Vieles kann gut werden – oder wieder gut werden.
Es ist Zeit für ein bisschen Zuversicht.